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Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
Autoren: Katherine Webb
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überraschender Geschwindigkeit davon. Ihre Beine beschreiben weite Bögen, die Füße klatschen flach auf den Boden. Cat blinzelt einmal, packt dann die Griffe ihrer Reisetasche und folgt Mrs. Bell.
    Draußen vor dem Bahnhof wartet ein Ponywagen. Die kleine Kutsche neigt sich heftig zur Seite, als Sophie Bell sich auf den Sitz neben dem Kutscher hievt. Cat blickt zu ihm auf und zögert noch, ihm ihre Tasche hinzuhalten, doch der Mann wirft ihr nur einen kurzen Blick zu, ehe er seine ganze Aufmerksamkeit wieder einem glänzenden schwarzen Automobil widmet, das auf der gegenüberliegenden Straßenseite gehalten hat.
    »Na, steh da nicht herum und halte Maulaffen feil! Steig ein. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit«, sagt Mrs. Bell ungeduldig. Mühsam bugsiert Cat ihr Gepäck auf den hinteren Sitz und klettert hinterher. Kaum sitzt sie, lässt der Kutscher die Zügel schnalzen, das Pony stemmt sich ins Geschirr, und mit einem Ruck fahren sie los. Und so wird Cat rücklings, den Weg vor Augen, der bereits hinter ihnen liegt, in ihre neue Rolle, ihr neues Leben gezogen. Irgendetwas in ihr wehrt sich so heftig dagegen, dass es ihr die Kehle zuschnürt und sie kaum noch Luft bekommt.
    Das Dorf Cold Ash Holt liegt gut drei Kilometer von Thatcham entfernt. Die Landstraße windet sich in südöstlicher Richtung durch ein Gewirr von Seen, Schilf und Feuchtwiesen, die der frische, sprießende Frühling so strahlen lässt, dass sie beinahe unwirklich aussehen. Junge Blätter schimmern silbrig, wenn die Brise sie bewegt, und selbst die Luft scheint einen grünen Duft heranzutragen – nach Feuchtigkeit und berauschenden Blüten. Sie schrecken einen Reiher auf, der aus den Binsen emporspringt und zu langsam, zu schwerfällig wirkt, um fliegen zu können. Das Sonnenlicht fängt sich in seinen gut gefetteten grauen Federn und glitzert in den Wassertropfen, die von seinen Beinen perlen. Cat starrt ihn an. Sie hat noch nie einen so großen Vogel gesehen und kennt seinen Namen nicht. Überhaupt kennt sie kaum Vögel außer Spatzen und den ewig gleichen Londoner Tauben, die im Schmutz nach ihrem täglich Brot scharren. Der Gentleman hatte einen Kanarienvogel auf einer kleinen goldenen Schaukel; Cat denkt daran, wie er dem Tier immer wieder etwas vorpfiff, leise mit ihm sprach und versuchte, es zum Singen zu ermuntern. Sie hatte mit dem Staubwedel in der Hand innegehalten, zugesehen und den Vogel für seine Verweigerung bewundert.
    Mrs. Bell schwatzt die ganze Zeit über mit dem Kutscher, ein leiser, kaum je unterbrochener Kommentar mit einer kurzen Pause hier und da, in die der Mann ein leises Grunzen einfügt. Fast alles geht im Hufgeklapper des Ponys unter, doch Cat schnappt einzelne Worte und Halbsätze auf. »Die kommt zurück, noch bevor der Sommer um ist, das können Sie aber glauben« – »… besaß doch die Frechheit, anzudeuten, das wäre nicht so, wie es sich gehört hätte« – »… Sohn ist schon wieder auf und davon, dabei ist das Kind« – »… kurzen Prozess mit Leuten, die kriminelle Neigungen zeigen«. Cat wirft einen Blick über die Schulter und sieht Mrs. Bells schmale Augen auf sich gerichtet.
    Das Pfarrhaus aus verblasstem rotem Backstein ist drei Stockwerke hoch und beinahe quadratisch. Symmetrisch angeordnete Fenster mit leuchtend weißen Rahmen blicken in die Welt hinaus, und ihre Scheiben spiegeln den sonnigen Himmel. Der Garten ums Haus fließt über vor Frühlings blumen, wie kleine Fontänen aus Farbe spritzen sie aus ordentlichen Beeten empor, die geschwungene Formen im kurzen, ebenso ordentlichen Rasen bilden. Knospende Glyzinien und Geißblatt erklimmen die Wände und Fensterbretter, und hohe Tulpen säumen den Weg bis zu der breiten, leuchtend blauen Haustür, deren Messingklopfer stolz in der Sonne glänzt. Das Anwesen liegt am Rand des kleinen Dorfes, und der Garten grenzt an üppige Feuchtwiesen. In der Ferne folgt ein Flüsschen seinem gewundenen Pfad wie ein silbriges Band. Der Kutscher hält an der hinteren Hausecke an, am Ende der gekiesten Auffahrt, wo bemooste Stufen zu einer weniger imposanten Tür hinabführen.
    »Du benutzt diese Tür und keine andere«, sagt Mrs. Bell barsch, als sie das Haus betreten.
    »Selbstverständlich«, entgegnet Cat und ärgert sich. Die Frau glaubt wohl, sie hätte noch nie im Leben gearbeitet?
    »Also, pass gut auf, wenn ich dir jetzt das Haus zeige. Ich habe keine Zeit, alles dreimal zu erklären, und ich muss mich um den Tee kümmern. Die Herrin, Mrs.
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