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Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Titel: Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)
Autoren: Eva Baronsky
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qualvollen Gewissheit: Sein Auftraggeber war kein Sterblicher. Und das Requiem …! Er atmete schwer.
    Eine Ungeheuerlichkeit war das gewesen, mit der er sich nicht einmal für die Dauer eines Herzschlages hatte anfreunden können: Obgleich er der Notensetzer viele kannte, so wusste er darunter doch nicht einen, dem je eine solche Marter auferlegt worden wäre. So brauchte der Steinmetz sich den eigenen Grabstein nicht zu hauen, der Weber seinen Totensack nicht zu fertigen und der Totengräber sich die Grube nicht zu graben – einzig ihm war die peinigendste aller Aufgaben zuteilgeworden, sich selbst eine Totenmesse zu schreiben!
Requiem aeternam
. Nein, dieses Ende war kein Ende, sondern just der Fortgang aller Qual. Er ahnte, dass man ihn nicht von hier würde lassen, ihm zum Reich der Toten keinen Zutritt würde gewähren, ehe nicht der letzte Taktstrich gesetzt war.
    Empörung kam über ihn. Hatte er nicht größten Fleiß gezeigt und bis zum letzten Augenblick daran gearbeitet, dem Süßmayr, diesem Stupido, noch jede so winzig kleineSkizze anvertraut, ihm wieder und wieder alles beschrieben und mit der Stimme intoniert? Und doch war, vom Introitus abgesehen, nichts wirklich fertig, allenfalls Gesang und Basso hatte er niederschreiben können, hier und da eine erste Violin, das Posaunensolo des Tuba Mirum, gewiss, doch für Sanctus, Benedictus, Agnus Dei und Communio hätte er mehr Zeit gebraucht. Was hatte man ihn erst abberufen, um dann derarten auf die Erfüllung seiner Aufgabe zu drängen? Verstand einer die Oberen, gleich, ob sie im Himmel oder auf Erden regierten! Doch er würde es ihnen zeigen, mit einem Sanctus, das sich an Fulminanz nicht überbieten ließe! Mit einem einzigen Gedankenstrich verwarf er, was er dazu vorgesehen hatte, und setzte zu einem neuen, kühnen Thema in gleißend hellen, sonnenwarmen Farben an. Seine Lippen öffneten sich, er begann zu singen, erst tonlos, dann mit leiser Stimme, bis alles Gestalt angenommen hatte.
    Sein Blick glitt zu der geschlossenen Tür. Eine Klausur war ihm beschieden, in der ihn nichts Irdisches mehr, keine Opera und keine sonstigen Vergnügungen, von seinem Tun abhalten würde. Warum man ihm indes bei aller Mühe kein Notenpapier bereitgelegt hatte, ließ ihn den Kopf schütteln. Eine wahre Prüfung! Dann strich er sich das wirre, noch fieberfeuchte Haar aus der Stirn und begann, mit Hilfe eines weiteren, sorgsam gefalteten Blatts, immer fünf Linien untereinander zu zeichnen.
     
    Mit dem Sanctus kam er rascher voran als gedacht, obgleich er dazu ganze achtunddreißig Takte niederschrieb. Einzig die Reprise ließ er aus, die konnte wahrlich auch ein Nichtsnutz vollenden, und für Notenschreiber vom Range eines Clementi gab es im Jenseits gewiss nicht allzu viel zu tun.
    Das himmlische Schreibgerät glitt geschwind über das Papier und schien zudem über einen mirakulösen Vorrat an Tinte zu verfügen; zwar schmierte sie etwas klebrig in denAchteln, doch hatte er schon die fünfte Seite beschrieben, ohne einen einzigen Gedanken auf ein Tintenfass zu verschwenden. Wohlig lehnte er sich zurück, reckte sich in dem dunklen Fauteuil, der bei jeder Bewegung ein wenig mitschwang. Ein Frühstück wäre ihm recht gewesen, doch war man hier offenbar einzig auf die Erfüllung seiner Aufgabe bedacht. Dennoch: Ein angenehmer Ort schien es zu sein, die Luft erquicklich trocken und warm, nicht das geringste bisschen Zugluft störte ihn im Nacken. Einzig seine Füße froren.
    Er ließ den Blick durchs Zimmer wandern. Neben ihm auf dem Tisch stand aufrecht ein eigentümlicher, flacher Kasten, wie ein blindes, kleines Fenster oder ein Bilderrahmen ohne Gemälde darin. Dafür glomm an seiner Unterkante ein winziges grünes Licht. Argwöhnisch hielt er seinen Finger in einigem Abstand davor, das Licht strahlte weder Wärme aus, noch flackerte es. Rasch tippte er ein paarmal darauf, es leuchtete jedoch weiter ohne den lässlichsten Anschein von Respekt. Vor dem Kasten befand sich ein Brett, es musste sich um ein Spiel handeln, denn es waren kleine Würfel darauf angeordnet, die das vollständige Alphabet sowie Ziffern und eine Menge Zeichen enthielten. Demjenigen, der es zuletzt bespielt hatte, war es wohl der Mühe nicht wert gewesen, alles wieder an den rechten Platz zu setzten; kein Buchstabe stand, wo er hingehörte. Er griff nach dem A, versuchte, es anzuheben und die gefügige Ordnung herzustellen, doch der Würfel ließ sich nicht herausheben, nur niederdrücken wie
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