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Dunkler Zwilling

Dunkler Zwilling

Titel: Dunkler Zwilling
Autoren: Doris Bezler
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Prolog
    D er Mond glänzte am Himmel wie ein alter, fleckiger Silberteller. Sein fahles Licht verwandelte die Landschaft in ein unwirkliches Schattenreich. Maurice sah sich vorsichtig um. Eigentlich kannte er sich gut aus in dieser Gegend. Bei diesem gespenstischen Licht wirkte jedoch alles fremd. Er hatte die Abkürzung durch das Wäldchen genommen und schaute nun von einer kleinen Anhöhe aus über die dicht bewachsenen Felder hinüber zu den ersten Häusern der Siedlung.
    Irgendwo dort musste die S-Bahn-Haltestelle sein. Es passte zu diesem Mädchen, dass sie ihn heute dorthin bestellt hatte. Vollmond. 13. August 2011. Wunderbar! Vollmond an einem Dreizehnten. Das ist magisch! Da soll es geschehen! Ja, so hatte sie sich das wohl vorgestellt, dieses Es . Das konnte sie haben. Lange schon hatte er sich in wilden Träumen ausgemalt, wie es sein würde mit ihr. Einen ausgeklügelten Plan hatte er sich zurechtgelegt, wie er sie herumkriegen könnte und war mit wohligen Gedanken unter ihrer Kleidung spazieren gegangen. Er wusste auch schon, wo es stattfinden würde und war völlig überrascht gewesen, als die Initiative plötzlich von ihr ausging. Aber so war sie nun mal. Unberechenbar! Genau das war das Aufregende an ihr.
    Ein sanftes Kribbeln durchrieselte ihn. Er stellte sich vor, wie ihre zarte Zeigefingerspitze über das Display ihres Smartphones huschte. 13. August, Mitternacht, Modertal. Ikd . Die Blicke ihrer schwarz bewimperten Augen hoben sich. Es war eine irre Angewohnheit von ihr, den SMS nachzuschauen, als könne sie sehen, wie sie sich durch die Luft auf den Weg machten. Wahrscheinlich hatte sie noch eine Kusshand nachgeschickt und dann zufrieden gelächelt, wie eine Fee nach einem gelungenen Zauber. Maurice lachte still in sich hinein und schüttelte den Kopf. Ein verrücktes Mädchen war sie! Für 14 Jahre ganz schön weit! Viel weiter als die anderen Girlies in seiner Klasse. Und er war verrückt nach ihr. Launisch war sie. Er schaute hinauf zum Himmel. Launisch kommt von Luna, hatte der alte Deutschlehrer vor den Ferien mit hintergründigem Grinsen erklärt und zu ein paar Mädchen geschaut, die sich gerade heftig anzickten. Luna nannten die alten Römer den Mond, der für sie eine weibliche Gottheit war. Warum fiel ihm das jetzt wieder ein? Eigentlich hätten ihre Eltern sie besser Luna nennen sollen. Er beschloss für sich, das ab sofort insgeheim zu tun. Luna konnte manchmal eine üble Zicke sein. Aber sie war auch eine Schönheit. Viele Jungs in der Schule waren scharf auf sie. Doch sie wagten es nicht, das offen zu zeigen. Dafür hatten sie viel zu viel Respekt vor Maurice.
    Er straffte die Schultern. In der Stille der Landschaft ertönte plötzlich ein anschwellendes Rauschen. Hinter den nachtschwarzen Halmen der Maispflanzen raste eine Kette hell beleuchteter Fenster vorbei. Nur in wenigen konnte man die Umrisse von Fahrgästen erkennen. Er kniff die Augen zusammen. Kam sie mit diesem Zug oder hatte sie sich zu Fuß auf den Weg gemacht wie er? Wenn es ein Mädchen gab, das keine Angst hatte, nachts alleine durch den dunklen Wald zu laufen, dann sie! Aber eigentlich hätte er sie dann auf dem Weg bemerken müssen. Oder versteckte sie sich vor ihm und wollte ein Spielchen mit ihm treiben? Zuzutrauen wäre es ihr!
    Hinter ihm knackte plötzlich ein Zweig. Maurice schreckte zusammen. Dann entspannte er sich wieder. Wenn sie es war, die dort durch das Gehölz schlich, würde er den Spieß umdrehen und ihr erst mal einen schönen Schrecken einjagen. Ihre Geisterstunde konnte sie gerne haben. Und noch viel mehr!
    Lautlos glitt er hinter einen breiten Baumstamm. Jetzt konnte er deutlich hören, wie sich jemand mit vorsichtigen Schritten einen Weg durch das trockene Laub bahnte. Dann trat die Gestalt in sein Blickfeld. Der Mond übergoss sie mit silbrigem Licht und ließ die Blässe ihrer Haut hell aufleuchten. Maurice brach schnaubend aus der Deckung.
    »Du siehst aus wie ein Untoter. Was machst du hier?«, fauchte er.
    Die Gestalt fuhr herum. In ihren Augen flackerte Angst. »Ich hatte dich auf einmal nicht mehr gesehen und dachte schon, ich hätte dich verloren«, wimmerte ein zartes Stimmchen.
    »Wieso schleichst du mir nach?«, knurrte Maurice.
    Jetzt glitzerten Tränen in dem spitzen Mausegesicht. »Ich wollte doch nur wissen, wo du hingehst. Ob du vielleicht rüber zur S-Bahn willst, um abzuhauen. Du hattest mir versprochen, mich mitzunehmen, wenn du gehst!«
    Maurice schüttelte den Kopf. Etwas
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