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Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Titel: Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)
Autoren: Eva Baronsky
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die Taste eines Fortepianos. So war es … eine Klaviatur zum Schreiben? Er drückte nacheinander die Buchstaben W-O-L-F-G-A-N-G, doch ertönten keine Laute, nur ein monotones Klackern. Ratlos ließ er davon ab.
    Neben der Klaviatur fand er weitere Stapel des weißen Papiers, bereits vollgeschrieben mit Notizen, Zahlen, zarten Zeichnungen, in einer feinen, sehr weiblichen Schrift.Konnte es angehen, dass er nicht der Erste an diesem Ort war, dessen finale Dienste gefordert wurden? Nun, das war immerhin ein tröstlicher Gedanke inmitten der Beharrlichkeit, mit der man ihm hier seine Arbeit abverlangte. Ob er am Ende doch sämtliche Orchesterstimmen würde notieren müssen? Das Benedictus wäre bald skizziert, das Agnus Dei … und dann? Er schluckte. Schließlich würde man alles von ihm fordern. Alles. Auch das Letzte. Das Allerletzte. Auch das Lacrymosa. Allein der Gedanke daran, die Töne, die er sofort mit sich brachte, ließen ihn beben. Nie zuvor war ihm solches widerfahren. Nie zuvor hatte seine eigene Musik ihn derarten zu erschüttern vermocht, dass er sich außerstande sah, sie zu vollenden. Lacrymosa.
Dies illa.
Wie oft hatte er unter Tränen von seinem Arbeitstisch aufstehen und das Haus verlassen müssen, bis der Lärm der Straßen ihn wieder aufleben ließ.
Huic ergo parce, Deus!
    Zitternd griff er nach dem wundersamen Schreibgerät.
     
    Als bereits ein rechtes Bündel fertiger Seiten vor ihm lag, mischten sich plötzlich fremde Töne in die letzten Takte des Benedictus. Er schrak auf. Eine Frauenstimme sang eine monotone Melodie aus zwei sich ständig wiederholenden Phrasen, begleitet von grellem Geschepper, als schlügen Kochtöpfe gegeneinander.
    Sein erster empörter Impuls ließ ihn aufspringen, dann verharrte er, lauschte. Dumpfes Pochen, jemand lief an der Zimmertür vorbei. Instinktiv hielt er den Atem an. Der Erzengel! Doch die Schritte entfernten sich, eine Tür schlug, der Gesang verstummte, Gespräch setzte ein. Er schlich zur Tür, presste sein Ohr gegen das Türblatt. Jemand unterhielt sich mit einem Frauenzimmer, jedoch so undeutlich, dass man die Worte nicht verstehen konnte. Zaghaft drückte er die Klinke herab und steckte den Kopf aus der Tür. Die Stimmen kamen aus dem Nebenraum, und obwohl die Konversation nicht unfreundlich klang, wurde unnatürlichlaut disputiert, gerade so, wie man auf einer Bühne zu sprechen hat. Neugierig schlüpfte er hinaus in den halbdunklen Korridor, tappte auf bloßen Füßen über kalte Dielen und lugte am Türrahmen vorbei in ein größeres Zimmer, eine Art Salon, das ihn, ob seiner Helligkeit, blinzeln machte. Die Wände waren vollkommen weiß. Verwundert drehte er sich um sich selbst. Doch unverkennbar: Im Raum wurde gesprochen – und es war niemand darinnen! Entweder seine Sinne oder jemand anders trieb übelsten Schabernack mit ihm. So leise er konnte, schlich er sich in die Richtung eines Wandbords, in welchem das Gespräch zweifelsohne seinen Ursprung nahm, stolperte über ein paar rosenfarbige Wollpantoffeln, fing sich knapp und schlüpfte, ohne nachzudenken, hinein. Dem Klang folgend, berührte er das Bord, spürte ganz eindeutig die Vibrationen, aus jenem überlauten Gespräch geboren, dessen Worte er nicht aufzunehmen vermochte. Das feine Zittern entsprang einer schwarzen, mit Stoff bespannten Kiste.
    Überwältigt hielt er den Atem an: ein mechanischer Musikapparat, der Stimmen hervorbrachte! Wie tadellos echt er klang, fast so, als säße jemand in der Kiste, die freilich viel zu winzig dafür gewesen wäre. Trotzdem drehte er sie vorsichtshalber um, doch hinten hing lediglich eine schwarze glatte Kordel heraus. Gewiss war sie zum Aufziehen gedacht. Ein zufriedenes Lächeln huschte über seine Lippen. Was für ein meisterhaftes Instrument! Ganz anders als die langweiligen Apparate, für die er unlängst ein paar Stücke hatte schreiben sollen – nur widerwillig hatte er einen Teil davon fertiggestellt. Oh, es wäre ihm eine Ehre, für dieses neue Mechanikum eine erhabene Musik zu komponieren – zumal sie offenbar recht lang werden durfte, der Kasten sprach nun schon eine ganze Weile, ohne dass man ihn hatte aufziehen müssen.
    Er sah sich um. In dem Salon herrschte ein unbeschreibliches Durcheinander: Trinkgläser und Flaschen, Kleidungsstückeund allerlei Unrat lagen auf dem Fußboden verstreut. Nichts in diesem Raum, so musste er sich eingestehen, war ihm vertraut, abgesehen von dem Umstand, dass hier offenbar vor kurzem ein Gelage
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