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Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Titel: Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)
Autoren: Eva Baronsky
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stattgefunden hatte. Hatte er daran teilgenommen? Er schluckte und stellte fest, dass seine Zunge am Gaumen klebte. Einige der herumstehenden Bouteillen waren noch halb gefüllt, er hielt sich einen Flaschenhals an die Nase, roch Bier, nahm ein paar kräftige Schlucke; es schmeckte schal, löschte aber den größten Durst, wenn auch ohne zu erfrischen.
    Indes das Mechanikum weiterdröhnte, flog sein Blick im Raum umher, blieb an einem kleinen, zur Vollkommenheit runden Spiegel hängen, der am Boden lag. Er kniete nieder und beugte sich darüber. Der Spiegel war mit einem Loch in der Mitte versehen. Bewegte man den Kopf, tanzten bunte Strahlen verschieden schnell über die Scheibe, ein schillerndes Ballett, stets von einer unsichtbaren Mitte geführt. Das war Musik zum Anschauen! Er wackelte mit dem Kopf, probierte verschiedene Rhythmen, und auch die kleinsten seiner Bewegungen bewirkten immer neue Farbenspiele und wurden zu unerwarteten Klängen. Doch dann bemerkte er, dass ihm übel dabei wurde, und tief atmend richtete er sich auf. Vermutlich fehlte ihm frische Luft.
    Er tappte zum Fenster, zerrte und rüttelte am Griff, bis es sich endlich öffnen ließ. Erleichtert lehnte er sich gegen die Brüstung und sah in den grauen Himmel hinauf. Die Atmosphäre, gleichwohl winterlich kalt, war erfüllt von einem anhaltenden Brummen und Rauschen, fast wie von einem Gebirgsbach im Frühsommer. Er lauschte. Von fern stieß jemand zweimal kurz in ein Jagdhorn. Ihn schauerte, er rang nach der kalten Luft, ein beißender, teuflisch unangenehmer Geruch lag darin, der ihm Wasser in die Augen trieb. Keine Engel, keine Posaunen, keine Tauben. Stattdessen bleischwerer Himmel, alchimistischer Gestank und ein hungriger Magen.
    Mit der Müdigkeit eines Wanderers, der, am Ende seiner Kräfte, feststellt, dass der halbe Weg weiters vor ihm liegt, stützte er den Kopf in die Hände und sah zwischen kahlen Baumkronen hindurch auf eine Allee. Bestaunte die völlig plane Bahn, die wie aus einem einzigen schwarzen Pflasterstein gemacht schien, als etwas Großes, Glänzendes eilig darüberhuschte, schwarz schimmernd wie ein riesenhaftes Insekt. Erschrocken wich er zurück. Gleich darauf kam ein weiteres, silbriges, diesmal von der anderen Seite, doch nun blieb er stehen, krallte nur seine Hände in die Fensterlaibung und folgte mit seinem Blick dem wunderlichen Vehikel dort drunten. Ja, das war eindeutig ein Fuhrwerk, auch wenn er weder Hufgetrappel hörte noch Pferde ausmachen konnte. Eine Weile sah er mit steigender Neugier den unaufhörlich von rechts und links kommenden Geschossen nach, bis eines langsamer wurde und auf der gegenüberliegenden Straßenseite zwischen zwei Bäumen hielt. Es erinnerte ihn tatsächlich an eine Kutsche, hatte vier Räder, wenn auch nur sehr kleine, und er wunderte sich über die Geschwindigkeit, die es damit zustande brachte. Zu beiden Seiten der Kutsche öffneten sich Türschläge, zwei Menschen kletterten heraus und begannen, große Kartonagen aus dem Fuhrwerk zu zerren und fortzutragen. Er versuchte sich vorzustellen, wie es sich wohl anfühlte, mit solcher Geschwindigkeit über die Alleen zu jagen, dachte an die Begeisterung, die er als kleiner Junge empfunden hatte, wenn der Kutscher auf den langen Reisen den Pferden ordentlich die Peitsche gab.
    Ein Ruf von der Straße, dem Tonfall nach ein derber Fluch, riss ihn aus seinen Gedanken. Er spähte nach unten, wo just ein Karton auf das Trottoir gefallen war, ein Wust von Papieren und Büchern lag am Boden verstreut.
     
    »Bist du wahnsinnig, das ist scheißkalt hier! Mach sofort das Fenster zu!«
    Erschrocken fuhr er herum, starrte auf einen hünenhaften Mann, dem das Haar so strubblig vom Kopf abstand wie einem frisch geschlüpften Küken die Federchen; bis auf ein Tuch um seine Hüften war er nackt, und allenfalls ein Lorbeerkranz hätte den Anblick noch zu ergänzen vermocht. Die himmlischen Heerscharen hatte er sich anders vorgestellt.
    »Wo hängt’s? Jetzt mach schon!«
    Folgsam tastete er nach dem Festerrahmen. Gewahrte erst jetzt, wie angenehm warm der Raum zuvor gewesen war, indes er nicht den mindesten Geruch einer Feuerung bemerkt hatte.
    »Ich, äh … bitte ergebenst um Verzeihung, es lag nicht in meiner mindesten Absicht, Euch zu incommodieren.«
    »Wie bitte?« Der andere glotzte an ihm herab. »Na wenigstens bist du wieder fit, wir haben schon Angst gehabt, du krepierst uns.«
    Er erstarrte. »Wie könnte das angehen?« Mühsam zog er die
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