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Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Titel: Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)
Autoren: Eva Baronsky
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erneut, dass er schwankte, und musste sich auf die Bettkante niedersetzen.
    »Lass nur, Wolfgang, du bist ja ganz erschöpft.« Sie half ihm, die Schuhe abzustreifen. »Leg dich hin, ich komme morgen wieder.«
    Er sank auf sein Kissen, schloss die Augen, fühlte schwach den Kuss, den sie auf seine Stirne drückte, und ihm war, als sinke er tiefer und tiefer. Noch immer stiegen unaufhaltsam Töne auf. Töne, wie er sie nie gekannt hatte, von eigentümlicher Schönheit, umkreisten ihn wie Geister und boten sichihm dar. Wolfgang lag und lauschte, vergaß alle Zeit, versuchte, das Gehörte zu verstehen, doch es widersetze sich jeder Ordnung, um die er wusste. Kein Ton schien dem anderen anzugehören, nichts in einem Verhältnis zu stehen, und doch bedingte einer den anderen, und alles verband sich zu einer Symphonie unvorstellbarer, ja apokalyptischer Vielstimmigkeit. Nie, in keinem Leben, nicht einmal in seinen kühnsten Gedanken, hatte er etwas Größeres gehört. Und sein Dasein und alle Zeiten muteten lachhaft klein an, angesichts solcher Unermesslichkeit.
    Wolfgang atmete schwer. Ihm war, als drängen die Töne aus einer fremden, nie gekannten Sphäre zu ihm und breiteten sich aus in seinem Inneren, bis etwas in ihm barst und eine Ahnung freigab. War das … die Musik der Zukunft? Bei diesem Gedanken durchfuhr ihn ein Beben, größer als alle Freude und größer als alle Furcht. Er spürte, dass er zitterte, tastete nach Anjus Hand, doch da war niemand mehr. Er lag allein.
    Vom Gang drang das Rattern eines Servierwagens in seine Kammer, schlurfende Schritte, Tellerstapel klirrten, als die Räder über eine Bodenfuge holperten. Die Stimme eines Pflegers hallte durch den Gang, dann entfernte sich alles wieder.
    Eine freudige Unrast ergriff Besitz von ihm, machte seine Füße zappeln, seine Gedanken Kapriolen schlagen und trieb ihn schließlich aus dem Bett. Strumpfsockig tappte er über kühles Linoleum zum Fenster, zur Tür und wieder zum Fenster zurück, öffnete den Flügel weit und sog die frische Winterluft in sich ein, als wäre sie das Leben selbst.
    Warum um alles in der Welt wurde ihm diese Enthüllung zuteil, diese Offenbarung, ja Prophezeiung? Etwas unvergleichlich Großes, nie Dagewesenes geschah mit ihm, und er wusste nicht, was. Doch es war der Wille des Herrn, das ahnte er, und der Allmächtige musste seine Gründe haben.Und ganz allmählich überkam ihn Ruhe und eine Ahnung von Zuversicht.
Et lux perpetua luceat ii.
Der Herr bedurfte seiner, an einem anderen, noch neueren Ort, und ER würde ihn leiten, würde ihm Halt geben. Frierend schloss Wolfgang das Fenster, kroch ins Bett zurück und rollte sich in die Bettdecke ein.
    Ein Pochen riss ihn aus dem Halbschlaf. Jemand musste an seine Zimmertür geklopft haben, ihm war, als verschwämmen Traumbilder und Wirklichkeit. Gerade noch hatte Gottvater persönlich mit einem Taktstock auf ein Dirigierpult eingeschlagen. Wolfgang blinzelte. Das Zimmer lag schon in dämmriger Farblosigkeit. Benommen stützte er sich auf, rief sein »Herein«, sank zurück und erwartete, die Schwester mit dem Essen zu sehen. Nichts geschah. Nur die Erinnerung an jene Klänge, die er geschaut hatte wie ein verbotenes Buch, stürzte auf ihn ein und versetzte ihn in jähe Spannung. Erneutes Pochen.
    »Herein!« Er drehte den Kopf zur Tür, ein Lichtstreif tat sich auf, wurde breiter, und die stattliche Silhouette eines Mannes in langem Mantel erschien.
    »Herr Mustermann?«
    »Vielleicht«, antwortete Wolfgang mokant. »Vielleicht auch nicht.« Er tastete nach dem Schalter der Nachttischlampe.
    »Herr Mustermann.« Mit gewichtigen Schritten trat der andere ins Zimmer, blieb stehen und sah Wolfgang an, als erwarte er, erkannt zu werden. Silbergraues Haar fiel ihm auf die Schultern. »Endlich habe ich Sie gefunden!«
    Jäh saß er kerzengerade in seinem Bett. »Wer … wer seid Ihr?«
    »O Verzeihung – wie unhöflich von mir. Michaelis mein Name.«
    »Wah!« Mit einem Aufschrei riss Wolfgang sich die Bettdecke vor das Kinn. Der Erzengel Michael!
    Der trat mit ausgestreckten Armen auf Wolfgang zu.»Herr Mustermann, ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mich freue. Das ist der Anfang einer neuen Epoche!«
    »Einer … neuen … Epoche.« Wolfgang starrte den anderen an, merkte dann, dass ihm der Mund offen stand. »So seid Ihr wahrhaftig – ge… gegrüßet, allerheiligster Engel.« Eilfertig lehnte sich Wolfgang aus dem Bett, wäre vor Eifer bald hinausgefallen, rückte an dem
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