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Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Titel: Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)
Autoren: Eva Baronsky
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ich das denn hin, das Programm?«
    Gernots Stimme wurde brüchig. »Sie kennen ihn?«
    »Ja. Das heißt, ich habe ihn gehört, vor ein paar Wochen, im Musikverein. Phantastisch – ich kann mich nicht erinnern, jemals einen Pianisten mit so viel Esprit und Talent gehört zu haben.«
    »Na ja, allerdings hat er sie nicht mehr alle.«
    »So? Weil er in psychiatrischer Behandlung ist? Sie sollten sich schämen, so zu sprechen, Gernot.«
    »Und was ist jetzt mit meiner Prüfung?«
    »Darüber reden wir, wenn Sie sich einen Termin haben geben lassen und ordentlich in die Sprechstunde kommen. Auf Wiedersehen!«
    Michaelis sah kopfschüttelnd dem jungen Mann hinterher, der sich aus dem Zimmer trollte.
    Wolfgang Mustermann. Dieser kuriose Name war nicht nur ihm, sondern auch der Presse aufgefallen. Ein Pianist, der aus dem Nichts aufgetaucht war, ohne Vita, ohne dass jemand das Geringste über ihn in Erfahrung hatte bringen können. Ein Phänomen! Robert Michaelis zog seine Schublade auf, nahm eine Aktenkladde heraus und betrachtete eingehend die Originale Mustermanns, die Gernot, dieser Holzkopf, für seine hatte ausgeben wollen. Professor Michaelis hatte längst Kopien an den Dirigenten weitergegeben, alle waren sie sich einig gewesen, dass so etwas zur Aufführung gebracht werden musste. Ehrfürchtig, ja fast zärtlich, strich er über die feine Schrift. Endlich einer, der Mozarts
Requiem
gewachsen war, der es zu vollenden wusste und – Robert Michaelis wagte denGedanken fast nicht zu Ende zu denken – der Mozarts Genius mit einer Leichtigkeit übertrumpfte, die er niemals für möglich gehalten hätte.
    Welche Tragik, dass solche Talente von Krankheit an ihrem Schaffen gehindert wurden. Was hätte Mozart nicht alles hinterlassen können, mit jedem Jahr, das ihm zusätzlich vergönnt gewesen wäre?
    Der Professor packte die Akte, an der er hatte arbeiten wollen, auf den Stapel zurück. Es gab Wichtigeres zu tun. Er sah auf die Uhr. Wie lange man auf der Baumgartner Höhe wohl Besuchszeit hatte? Entschlossen griff er nach seinem Wagenschlüssel.
***
     
    Hand in Hand spazierten sie zwischen den Pavillons auf und ab. Anjus Blick blieb auf den hellen Schotter der Klinikwege geheftet, während Wolfgang sie von der Seite betrachtete, ihr tiefdunkles Haar, das sie wie immer mit einem Tuch aus der Stirn hielt und in dem er zum ersten Mal einen Sonnenstrahl ausmachen konnte. Da war ein Kind. Sein Kind. Das vom ersten Tag an in diese Welt gehören und ihm Wurzeln verleihen würde, wo er keine besaß. Dieses würde ihm nicht wegsterben, sondern bleiben, und er ihm beim Aufwachsen zuschauen. Dieses Mal würde er alles richtig machen.
    »Wir sind uns nie zuvor unter freiem Himmel begegnet, weißt du das, meine Liebe Anju?«
    Sie sah ihn überrascht an, lächelte und griff fester nach seiner Hand. Er hörte das mittlerweile brauntrockene Laub unter ihren Schuhen, und es war, als sprächen die welken Blätter zu ihm. Unverhofft stiebten Töne aus dem Laub zu ihm auf, Töne, wie er sie nie zuvor wahrgenommen hatte und die er nicht imstande gewesen wäre in Noten zu fassen. Es war ein Sprühen und Schaben, ein leises, sachtes Schweben, ein Zittern und Schwingen, ein Singenund Wispern, wie es kein Instrument der Welt hervorbringen konnte und das sich adagio in seine Seele klang.
    Er blieb stehen, lauschte mit aufgerissenen Augen. Plötzlich hörte er es überall, es kam aus den sanft wiegenden Ästen der Ulmen, silberte in den Stimmen der Vögel und schwang im Wind. Sogar im fernen Surren eines Autobusses klang etwas, das er nie zuvor gehört hatte und das doch schon immer darin wohnen musste. Es war das ureigene Singen der Dinge, die Musik hinter den Tönen, die Essenz des Klangs, die einem schwebenden Takt folgte, der kein Takt mehr war, sondern ein zittriges Schaben der Zeit, ein Beben in den Tönen. Der Puls einer noch fremden Epoche.
    »Ist alles in Ordnung? Wolfgang? Sollen wir zurückgehen?«
    Selbst ihrer Stimme entnahm er, was er nie für möglich gehalten hätte, und Wolfgang breitete die Arme aus, begann sich um sich zu drehen und die Klänge einzufangen, die aus allen Richtungen kamen. Er spürte, wie ihm schwindlig wurde, stolperte und musste heiser lachen. »Alles«, staunte er, »alles ist Musik!«
    Überwältigt taumelte er, wankte, fühlte ihre Hand an seinem Arm und ließ sich in sein Zimmer zurückführen. Überall lagen Noten verteilt, er raffte Wäsche von einem Stuhl, den er für sie zurechtschieben wollte, spürte
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