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Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Titel: Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)
Autoren: Eva Baronsky
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unvollendet lassen müssen? Weil er zu schwach war? Nie zuvor, bei keinem einzigen Musikstück, hatten ihm seine Gefühle im Weg gestanden. Oder war es doch noch nicht an der Zeit? Für die Dauer eines Lidschlags tauchte jener Bote aus seiner Erinnerung auf wie aus Nebel und gewann Kontur.
    Ja, er war fleißig gewesen in diesem Jahr, in dieser neuen Zeit, obwohl er der Auftragsarbeit hatte entbehren müssen. Beinahe alles war seiner Lust und der jeweiligen Laune des Tages entsprungen, frei von Zwängen, frei von Grenzen, wie er es sich immer gewünscht hatte. Ob es jemals gehört würde? Und wenn ja – würde er es erleben dürfen? Vieles hatte er zu Singlinger gebracht. »Eigenwillig« hatte der es genannt, »unverkäuflich« wohl gemeint. Wolfgang atmete tief. Ja, vielleicht brauchte alles seine Zeit.
    Und mit diesem Gedanken kam eine tiefe Ergebenheit über ihn. Ja, vielleicht war es genug. Vielleicht war dies das Ende. Ob mit oder ohne Lacrymosa – sei es drum –, er würde es ein weiteres Mal schuldig bleiben.
    Wolfgang spürte, dass er keinen Groll hegte, anders als damals, da sich niemand mehr die Mühe gemacht hatte, seine Musik zu begreifen, und sich stattdessen alle vor den Ergüssen gefallsüchtiger Hofnarren verneigt hatten, derenNamen längst niemand mehr kannte. Langsam schwebend, wie der leise, feine Ton einer einzelnen Bassettklarinette, stieg eine Ahnung in ihm auf, wurde zur Gewissheit und legte sich als Trost über sein Gemüt.
    Wolfgang trank etwas Wasser und quetschte das Kopfkissen in den unbequemen Winkel zwischen Matratze und metallenem Kopfteil. Er lehnte sich dagegen und starrte aus dem Fenster, auf die wirren Bahnungen aus schwarzem knorrigem Geäst und weißen verschlungenen Metallgittern.
    Nun blieb nur eines, das man ihm nehmen konnte, das Wichtigste von allem, seine Liebe, die er längst nicht mehr besaß, vielleicht nie besessen hatte, und gewiss würde es deshalb das schmerzhafteste Stück von allen sein.
***
     
    »Sag mal, is jemand gestorben oder was?« Jost sah Anju nach und schwenkte eine Handfläche vor seinem Gesicht, als gälte es, eine Scheibe zu reinigen.
    Barbara legte den Finger auf die Lippen und warf Jost einen grimmigen Blick zu. Erst als die Wohnungstür zugefallen war, schloss sie leise auch die Küchentüre.
    »Lass sie verdammt noch mal in Ruhe, es geht ihr wirklich nicht gut.«
    »Immer noch wegen diesem Typen da? Hat der sie etwa sitzenlassen, dieser Schwachkopf? Soll mich nehmen, das hab ich ihr schon hundertmal gesagt.«
    »Idiot! Er hat sie nicht sitzenlassen, er ist bloß im Spital.«
    »Oh, Verzeihung, kann ich ja nicht riechen. Unfall oder was? Schwanz ab? Armes Schwein!«
    »Hör auf, Mensch, der sitzt in Steinhof, das ist wirklich nicht lustig …«
    »In Steinhof?« Jost starrte Barbara für einen Augenblick an, schlug sich dann grölend auf die Schenkel. »In Steinhof!Das ist ja der Hammer. Hab ich doch gleich gesagt, dass der da hingehört, der Herr Compositeur.« Er hielt inne, wurde ernst. »Bist du sicher? In Steinhof?«
    »Ich sag dir was, wenn du dich bei Anju drüber lustig machst, dann fliegst du raus hier, ist das klar?«
    »Sonnenklar, Madame.« Jost zog einen unsichtbaren Hut und verließ rückwärts die Küche. »Kein Wort über meine Lippen – ich bin Ihnen sehr verbunden, Madame! Wie hieß er noch gleich, der gute Herr Compositeur?«
    Dann griff er zum Telefon.
***
     
    Erleichtert schüttelte Anju die feinen Wassertröpfchen von ihrem Schal, die sich wie Raureif über alles gelegt hatten, und schob sich auf die samtene Polsterbank. Sie betrachtete den blassen Mann, der ihre Jacke zum Kleiderständer brachte, und mit einem Lächeln, irgendwo zwischen schüchtern und warmherzig, wieder auf den kleinen Ecktisch zusteuerte. Seine Augen waren ebenso dunkel wie seine Haare, die er auf eine Weise trug, auf die im günstigsten Fall die Bezeichnung »zeitlos« gepasst hätte. Seine Bewegungen waren zwar kraftvoll, doch eher steif, etwas an ihm wirkte gehemmt. Bestimmt, dachte sie, während der Kellner ihre Bestellung aufnahm, setzt ihm die ganze Sache auch zu.
    »Ich hatte so sehr gehofft, du wüsstest vielleicht, wer er wirklich ist.«
    »Weiß ich nicht, wer er ist, aber weiß ich, er ist Freund.«
    »Wohnt er schon lange bei dir?«
    »Eine Jahr ungefähr, ist er aufgetaucht, keine Kleider, keine Koffer, einfach so auf Straße. Nur mit Plastiktüte. Hab ich gedacht, ist er Penner, zuerst.« Piotr starrte in seinen Kaffee.
    »Und ihn einfach
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