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Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Titel: Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)
Autoren: Eva Baronsky
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Wolfgangs eigenartige Sprechweise, die ihr gleich bei ihrem ersten Treffen aufgefallen war. Sie hatte es für einen Spleen gehalten, vielleicht für das Ergebnis einer vorsintflutlichen, sehr elitären Erziehung, was auch sein Verhalten insgesamt etwas erklärt hatte.
    »Und Sie sind sicher, dass er nicht einfach – schauspielert? Ich meine …«
    »Nein. Sein Verhalten ist sozusagen echt, auch wenn das paradox klingt. Das haben wir natürlich überprüft.«
    »Und wie stehen die Chancen, dass er sich daran erinnert, wer er wirklich ist?«
    »Schwer abzuschätzen, manche Patienten bleiben jahrelang identitätslos oder erinnern sich nie. Manchmal haben wir Glück, und es melden sich Angehörige.«
    Anju schluckte. »Dann wird er also auf unabsehbare Zeit hierbleiben müssen?«
    »Um Gottes willen, nein, wir sind daran interessiert, dass diejenigen Patienten, die in der Lage sind, im normalen Leben zurechtzukommen, bald wieder entlassen werden. Ohne Therapiebegleitung wird das allerdings nicht gehen.« Sie machte eine Pause. »Sie sind unsicher, ob sie das Kind bekommen sollen, nicht wahr?«
    »Nein, das heißt … Ach, eigentlich weiß ich überhaupt nichts mehr.«
    »Wenn Ihnen das weiterhilft: Ich bin überzeugt, dass Ihr Freund durchaus in der Lage wäre, ein guter Vater zu sein. Im Moment ist er in einer akuten Krise, aber mit etwas Geduld wird er eines Tages akzeptieren, dass er ein Problem hat, und damit leben können. Hören Sie …« Dr. Groß spielte mit einem Kugelschreiber, sah dann auf. »Ich hätte Ihnen das alles nicht sagen dürfen, und ich verlasse mich darauf, dass es unter uns bleibt. Aber ich denke, in dieser Situation …«
     
    Wie betäubt stieg Anju die grausteinernen Stiegen hinab. Staubfeiner Regen kühlte ihr Gesicht. Sie legte ihren Schal über den Kopf. Wolfgang hieß überhaupt nicht Mustermann. Ja, möglicherweise nicht einmal Wolfgang. Sie zog die Schultern zusammen und spürte, dass die kalten Schauer, die ihr darüberliefen, nicht vom Regen rührten. Der Mann, den sie noch immer liebte, war verschwunden, an seiner Stelle blieb ein schmerzender blinder Fleck. Sie suchte Schutz in einer Mauernische und tastete in ihrer Tasche nach dem Handy.

Communio
     
    Lux aeterna luceat eis, Domine, cum Sanctis
    tuis in aeternum, quia pius es.
     
    Er flog, flog durch die Düsternis, wie Töne sich durch Nachtluft weben, hörte sich klingen, eine Symphonie ohne Anfang und ohne Ende. Er selbst war Musik, körperlos, schwerelos, nichts als Klang ohne Hall und Raum, wie seine Ohren ihn nie vernommen hatten. Dann löste sich etwas, fiel ab und verklang. Noch während er sich nach dem Verlorenen umsah, fühlte er erneut, wie unter Schmerzen eine Sequenz aus ihm brach, auftönte und verschwand. Es war der Schmerz eines Baumes, dem ein Zweig fortgerissen wird. Stück um Stück verlor er sich, bis er sich kaum mehr hörte, ein schwaches Raunen nur mehr, bald, das wusste er, verginge auch das.
    Es war eigentümlich still, als er erwachte. Zu still. Er richtete sich auf, sah sich irritiert um, doch alles war da: das glänzende Stahlrohr des Bettrahmens, die eitergelben Wände und der Spind, der tat, als sei er aus Holz. Er starrte auf die Falten der gelbblumigen Gardine und versuchte, die Schnittstellen zweier ungleicher Blütenhälften in Einklang zu bringen.
    Es war still, doch die Stille umgab ihn nicht, denn er hörte das Brummen eines Fuhrwerks, schmatzende Schritte von Gummilatschen auf dem Gang, das Klingeln eines Telefons, irgendwo – nein, die Stille schmerzte in ihm. Sein Inneres schwieg, schwieg so tief, dass er die Augen schließen und beide Arme über die Ohren legen musste. Da war keine Musik mehr. Nichts. Als hätte man einem Mechanikum den Ton abgedreht.
    Entschlossen lehnte er sich über die Bettkante, kramte in der Lade des Nachtschranks nach Notenpapier, entsannsich mit Mühe der letzten Fassung des Requiems. Wie lange war das her? War es im Sommer gewesen? Es gelang ihm, jeden Takt in seinem Inneren erklingen zu lassen, doch die Musik lief nicht von allein weiter. Wieder und wieder musste er sie anschieben.
    Wolfgang dachte an die Unmengen von Papier, die er in bald zwölf Monaten beschrieben hatte, mehr noch: Längst lagen ungezählte Fassungen jener Totenmesse an den unterschiedlichsten Orten und in den verschiedenen Jahrhunderten verstreut. Nur das Lacrymosa, diese letzte, unbarmherzigste aller Aufgaben, hatte er vor sich her geschoben gleich einem Klotz. Würde er es auch dieses Mal
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