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Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Titel: Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)
Autoren: Eva Baronsky
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kleines Büro und hieß sie Platz nehmen.
    »Sind Sie eine Verwandte?«
    »Ich, nein, ich … bin seine … Verlobte.«
    »Ah? Sehr schön. Er hat nie von Ihnen gesprochen.«
    »Ich, nun, wir haben uns eine Weile nicht gesehen, es … gab ein Zerwürfnis und … Ich habe nicht gewusst, dass er hier …« Anju schluckte an den Worten. »Können Sie mir bitte sagen, was mit ihm los ist?«
    »Das kann ich leider nicht, Auskunft erteilen darf ich nur Angehörigen.«
    Anju schloss die Augen, rieb sich die Stirne. »Bitte. Ich … muss es wissen.«
    »Nun, vielleicht sagen Sie mir erst einmal Ihren Namen.«
    »Sonnleitner, Anju Sonnleitner.«
    »Ich bin sehr froh, dass Sie gekommen sind, Frau Sonnleitner, denn wir haben bisher keinerlei Hinweis auf Herrn Mozarts Lebensumfeld finden können.«
    »Bitte! Nennen Sie ihn nicht so. Er heißt Mustermann.«
    »Sie sind wirklich mit ihm verlobt?«
    Anju schwieg mit fest zusammengepressten Zähnen.
    »Dann sollten Sie wissen, dass er keineswegs Mustermann heißt. Auch nicht Pallousscziczk.«
    »Wie bitte?« Anju fühlte sich plötzlich am Rande eines Abgrunds stehen, und das Gestein unter ihren Füßen bröckelte.
    »Frau Sonnleitner, ich hatte gehofft, dass Sie mir seinen richtigen Namen sagen können. Oder eine Adresse. Kennen Sie jemanden, der mehr über ihn weiß?«
    »Piotr, vielleicht.«
    »Wer ist das?«
    »Ein polnischer Geiger, bei dem er wohnt. Was ist mit seinem Namen?«
    »Es wäre uns sehr geholfen, wenn dieser Geiger sich bei uns melden könnte, Frau Sonnleitner.« Die Ärztin notierte etwas auf ihrem Klemmbrett. »Mögen Sie mir erzählen, seit wann Sie Herrn …, also Herrn Mustermann kennen?«
    Anju starrte auf die Maserung des Schreibtisches. »Ein halbes Jahr, vielleicht«, sagte sie tonlos.
    »Hm. Hat er sich in Ihrer Gegenwart nie auffällig benommen?«
    Der Boden rutschte, riss sie mit sich, Anju schlug die Hände vor das Gesicht, Schluchzer schüttelten ihre Brust. Sie spürte schließlich eine Hand, die sanft über ihren Arm streichelte. »Er … er hält sich für Mozart. Er hat mir allen Ernstes erzählt, er wäre als Wolfgang Mozart gestorben und vor einem Jahr wiederauferstanden. Wenn er redet, dann ist es …« Anju schniefte, wischte sich über die Nase. »Ich dachte erst, das sei einer seiner Scherze, er kann unglaublich witzig sein, wissen Sie. Aber das meint er vollkommen ernst. Ich … ich habe das einfach nicht ausgehalten.«
    »Das ist schwer, ich weiß. Besonders, wenn es so unvermittelt kommt.«
    »Danke.« Anju nahm das Taschentuch, das ihr gereicht wurde, schnäuzte sich und strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Bitte, sagen Sie mir doch wenigstens, ob seine Krankheit erblich ist.«
    Die Ärztin schwieg, bis Anju aufsah.
    »Sie sind schwanger, nicht wahr?«
    Anju sah durch Tränenschleier, der Blick der Ärztin ruhte auf ihr. Sie hörte sie tief atmen.
    »Wir sprechen in diesem Zusammenhang nicht von Krankheit, Frau Sonnleitner. Ihr Freund ist körperlich gesund. Das, was Sie als krank wahrnehmen, ist eine tiefgreifende Persönlichkeitsstörung, das Ergebnis eines langfristigen inneren Entwicklungsprozesses.«
    »Das heißt, er lebt schon länger mit dieser … Störung?«
    »Höchstwahrscheinlich ja. Möglicherweise bisher ganz unauffällig. Stellen Sie sich das wie einen Luftballon vor, der sich kontinuierlich aufbläst. In seinem Fall muss es irgendwann einen Auslöser gegeben haben, der ihn sozusagenzum Platzen gebracht hat. Wahrscheinlich zu jenem Zeitpunkt vor einem Jahr.«
    »Was soll dieser Auslöser gewesen sein?«
    »Meine persönliche Vermutung ist, dass er vor nicht allzu langer Zeit eine Amnesie erlebt hat. Möglicherweise infolge eines Unfalls.«
    »Sie meinen, er hat vergessen, wer er ist?«
    »Nicht nur das. Wenn mein Verdacht zutrifft, dann war es eine Totalamnesie. Das heißt, er hat zu diesem Zeitpunkt auch vergessen, wie die Welt um ihn herum funktioniert. So etwas ist sehr, sehr selten, kommt aber hin und wieder vor.«
    »Aber weshalb dann dieser Blödsinn mit Mozart?«
    »Nun, ich denke, dass Ihr Freund sich schon lange vorher sehr intensiv mit Mozart auseinandergesetzt hat, ihm nachgeeifert und ihn als Idol verehrt hat. Das ist für einen Musiker ja auch allzu verständlich. Als er nicht mehr wusste, wer er ist, hat er seinen Wunsch wahr werden lassen, indem er sich unbewusst eine neue Erinnerung und damit eine neue Realität geschaffen hat. Eben die des Genies aus dem achtzehnten Jahrhundert.«
    Anju dachte an
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