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Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich!

Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich!

Titel: Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich!
Autoren: Joshua Corin
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eines Scharfschützen und legte ein Album mit dem Titel „My Aim is True“ auf.
    Sie strich sich eine haselnussbraune Haarsträhne hinters Ohr. Ihre Ohren waren nicht klein und hübsch. Als sie jünger war, etwa in Sophies Alter, hatte sie darauf bestanden, ihr Haar lang zu tragen. Doch ihre Ohren hatten immer eine Gelegenheit gefunden, herauszulugen. Mit zwanzig hatte sie einfach aufgegeben und ihr Haar auf Schulterlänge schneiden lassen. Dadurch hatte sie ein paar Jahre älter ausgesehen, doch mit zwanzig und als Polizistin war das durchaus ein Vorteil. Zumindest hatte sie geglaubt, dass man sie nun ernster nehmen würde.
    Du liebe Zeit, sie war so naiv gewesen!
    Esme wusch sich die Hände, trottete zurück ins Wohnzimmer und tauschte aus Prinzip die CD gegen etwas weniger Heftiges aus. „Bananarama’s Greatest Hits“? Perfekt. Sie drückte auf „Play“ , starrte einen Moment zu lange auf ihren Computer (welche neuen Entwicklungen hatten sich in dem Fall ergeben?) und ließ sich auf die Couch plumpsen. Zerstreut griff sie nach einem der Sudoku-Hefte, die auf dem Glastisch verstreut lagen. Esme öffnete es an der Stelle, wo ein billiger schwarzer Kugelschreiber steckte, und tüftelte an einem Rätsel herum, das mit dem vielversprechenden Titel „Wahnsinnig schwer“ überschrieben war.
    Das Durcheinander auf dem Glastisch stellte das einzige gemütliche Chaos in dem ganzen Raum dar. Rafe wollte, dass der Rest des zweistöckigen Hauses ordentlich und blitzsauber war. Er war nicht per se ein Ordnungsfanatiker; aber es kamen ständig Gäste von der Universität, und er wollte – genauso wie Esme damals bei der Polizei mit ihrem kurzen Haar – einen guten Eindruck machen. Esme hatte nichts dagegen einzuwenden (sie war sich über die Bedeutung von Äußerlichkeiten durchaus im Klaren), solange sie in jedem Raum eine Ecke für sich hatte. Wie auch immer, Sudoku-Heftchen waren sowieso schnell geordnet.
    Die Bananarama-CD war zu Ende. Nach weiteren fünf Minuten hatte sie das Rätsel komplett gelöst, danach machte sie sich fertig, um ihre Tochter abzuholen. Sie schlüpfte in ihren olivgrünen Parka, rief sich noch einmal die Mayonnaise in Erinnerung und betrat die kalte, kalte Garage. Draußen musste es gefühlte minus fünfzehn Grad haben, und wegen des nächtlichen Schneeregens war bestimmt Glatteis auf den Nebenstraßen. Willkommen an der Nordküste Long Islands! So war es hier von Dezember bis März.
    Esme schaltete ihr Prius-Satellitenradio an. Sie war gern von Musik umgeben. Musik, Sprache – eigentlich alles, was mit Kreativität zu tun hatte, lud sie mit Energie auf wie eine kurzfristige Fotosynthese. Ohne Musik, ohne gesprochenes Wort könnte sie morgens genauso gut im Bett liegen bleiben. Tom Piper hatte einmal angedeutet, dass sie womöglich unter Depressionen litt. Aber da hatte sie ihm gerade erst gesagt, dass sie den Dienst quittieren wollte, was wahrscheinlich seine Einschätzung beeinflusst hatte.
    Tom. Der schlaksige Tom und seine ’78er Harley-Davidson Chrome. Bestimmt waren er und seine Harley jetzt unten in Atlanta. Dort würde er immer wieder den Tatort inspizieren, ungefähr skizzieren, was in diesem Verrückten vor sich gehen mochte, versuchen, seine Botschaft zu entschlüsseln. Und bei dieser ganz speziellen Mordserie …
    Köder, Falle, vierzehn Morde. Geduld. Dieser Verrückte wollte mit Sicherheit nicht, dass man seine Absicht falsch deutete.
    Ob er eine Nachricht hinterlassen hatte?
    Esme und Tom schickten sich noch immer Weihnachtskarten, Geburtstagsgrüße … Bei ihm anzurufen, um sich ihren Verdacht bestätigen zu lassen, käme also nicht vollkommen überraschend …
    Nein, Esme! Das ist nicht mehr dein Leben. Davon abgesehen ist Tom Piper ein großer Junge und durchaus in der Lage, den Bösen allein zur Strecke zu bringen. Du bist jetzt eine Fußball-Mutter, Esme. Lebe mit dieser Entscheidung.
    Sie fuhr mit ihrem dunkelroten Prius rückwärts von der Auffahrt. All die schneebedeckten Häuser um sie herum sahen nach neuem Geld aus. Rafes und ihr schwarz eingefasstes Haus im Kolonialstil bildete da keine Ausnahme. Gute Amerikaner lebten in dieser Gegend. Leute, die naiv genug waren, um Demokrat zu sein und zu glauben, dass das Leben einen Sinn hatte. An den meisten Tagen glaubte Esme in der Abgeschiedenheit von Oyster Bay inzwischen selbst daran.
    Ihr Radio schaltete von Public Enemys Wut-Hymne „Rise“ zu Elvis Costellos bedrohlichem „Riot Act“. Wieder Elvis. Lag wohl
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