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Herr der Moore

Herr der Moore

Titel: Herr der Moore
Autoren: Kealan Patrick Burke
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geweitet, füllten die Augen vollständig aus. »Du bist nicht rechtzeitig gekommen«, wisperte sie in ihrem gebrochenen Akzent.
    Er schüttelte den Kopf. »Ich wusste doch nicht …«
    »Rette das Kind.«
    Sie schaute weg und holte so unregelmäßig Luft, dass jeder Atemzug, wie Mansfield glaubte, ihr letzter sein konnte. Er gab ihr einen Kuss auf den Mundwinkel; ihre Lippen fühlten sich an wie Streifen kalten Leders. Er erhob sich, während er eine Hand schlotternd über ihren Körper hielt. »Fowler, ich brauche deine Pistole.«
    »Was? Warum?«
    »Gib sie mir einfach, verflucht!«
    Fowler tat, wie ihm geheißen, und zuckte zusammen, als Mansfield sie ruckartig aus seiner Hand nahm. »Bleib bei ihr«, befahl er. Dann stapfte er in die gleiche Richtung davon, aus der er gekommen war. Er biss die Zähne so fest zusammen, dass seine Kaumuskeln wehtaten. Tränen strömten ihm über die Wangen, und obwohl er erwartet hatte, Callow sei mit allen Pferden verschwunden, um eine Verfolgung unmöglich zu machen, war der Jagdmann dageblieben. Er hatte Mansfield den Rücken zugekehrt, nachdem er abgestiegen war, und spähte in den Nebel, während er mit sich selbst sprach.
    Mansfield kochte vor Wut, blieb aber ein paar Fuß hinter ihm stehen. »Umdrehen.«
    Callow bewegte sich nicht.
    »Umdrehen, sagte ich. Schaut mich an, Feigling.«
    »Ich fürchte, wir haben keine Zeit, um melodramatisch zu werden«, erwiderte Callow. Er bewegte den Kopf vor der Nebelbank auf und ab. Mansfield sah darin zunächst nichts und stand kurz davor, etwas zu entgegnen oder abzudrücken – was immer sich zuerst anbot. Dann aber erkannte er zwei weiß glühende Kugeln, die sich wie Irrlichter vom Dunst abhoben. Unbeabsichtigter Weise trat er einen Schritt zurück, als sich eine schwarze Gestalt gegen die Dunkelheit abzeichnete. Der Leibhaftige höchstselbst , dachte er.
    »Leben Sie wohl, Mansfield«, sagte Callow, als der Schatten ausholte und grässlich fauchend mit lohenden Augen aus dem Nebel hervorschnellte.

3

    Brent Prior
    1904

    Grady saß beim Ofen in der Küche und paffte Pfeife. Gelegentlich kräuselte sich der Rauch in seinem Gesichtsfeld, während er hinaus ins Moor schaute, wo sich mittlerweile Nebel gebildet hatte, der niedrig über der Erde wogte. Die Flammen wärmten und beruhigten ihn; er kam sich nicht so alt und nutzlos vor wie bisweilen, wenn er zu lange müßigging. Dann drohte dieses Gefühl ihn zu überwältigen.
    An diesem Morgen plagte ihn eine innere Unruhe solchen Ausmaßes, dass er heißen Whiskey trank, statt ganz aufs Frühstück zu verzichten, wie er es normalerweise nahezu hartnäckig tat. Der Alkohol diente dazu, die frühe Kälte zu vertreiben, wie er als Ausrede vorschob. Aber eigentlich wollte er der beinahe unerträglichen Magenschmerzen Herr werden, die davon kündeten, dass alles zu Ende ging. Bald schon sollten Brent Prior und das Mansfield-Anwesen nichts weiter als lose Erinnerungen an seine zahllosen Dienstjahre sein. Der Gedanke deprimierte ihn, weshalb er sich anstrengte, ihn zu verdrängen.
    Die Hintertür ging auf, und Mrs. Fletcher polterte in den Raum. Ihre Wangen waren feuerrot vom kalten Wind, und sie hatte die silbernen Haare so fest zu einem Dutt am Hinterkopf zusammengezogen, dass sie ihrer Augen wegen glatt als Asiatin durchgegangen wäre. Sie stampfte mit den Füßen auf, um den Matsch von ihren Schuhen zu entfernen, und trat eilig vor das Feuer. »Wenn ich es Ihnen sage«, begann sie, während sie ihre Hände rieb und dann über die Flammen hielt. »Heute Morgen ist es bitterkalt draußen, Mr. Grady. Die Laken, die ich an der Wäscheleine hängen gelassen habe, sind steif wie Bretter.«
    »Es ist sehr rau geworden, richtig. Der perfekte Morgen für eine Tasse Ihres feinen Tees, würde ich meinen.«
    »Ist dem so? Und selbst konnten Sie keinen kochen?«
    »Ich fürchte, dazu gehen mir die notwendigen Kompetenzen ab, mit denen Sie umso reichhaltiger gesegnet wurden.«
    »Verstehe.«
    Er lächelte und setzte ihrer Schlechtwettermiene ein verschmitztes Zwinkern entgegen. Wenn das Mansfield-Anwesen Geschichte war, würde er ihren Zank vermissen. Er hatte seit jeher eine Schwäche für Mrs. Fletcher. Obwohl die Schwindsucht sowohl ihren Jüngsten als auch ihren Ehemann dahingerafft hatte, blieb sie unbeugsam und verbarg den Kummer, der sie zerfressen musste, vor ihrem Arbeitgeber und den Chargen. Grady konnte sich nicht daran erinnern, sie je verärgert erlebt zu haben; dafür hatte sie den
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