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Herr der Moore

Herr der Moore

Titel: Herr der Moore
Autoren: Kealan Patrick Burke
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Schulter hinweg.
    Grady schaute zurück. Ihm war, als sehe er einen rennenden Schemen – nein, nicht rennend, sondern hüpfend – inmitten der trudelnden Nebelfahnen hinter ihnen, doch dann erkannte er nichts mehr. »Ich weiß nicht, aber lassen wir es nicht darauf ankommen und reiten weiter.«
    »Was ist mit Laws?«
    »Vergessen Sie ihn erst einmal.«
    »Haben Sie eine Ahnung, wohin uns dieser Weg führt?«
    »Ich glaube schon. Beeilen Sie sich bloß .«
    Jede Erhebung und Senke, die sich im Nebel offenbarte, schüttelte sie kräftig durch.
    Royle schlug mit der Peitsche auf das schweißnasse Fell des Tieres. Lightning reagierte und schlug einen Galopp an. Eine dunkle Wand huschte so dicht und unerwartet an Gradys Gesicht vorüber, dass er damit rechnete, gleich vom Rücken des Pferdes geworfen zu werden. Seine Hände vor Royles Bauch glitten auseinander, weshalb er sich flugs an den Seiten des Sattels festhielt, um nicht abzurutschen. Dann zischte es wieder ohrenbetäubend laut, und er verspürte leichten Druck auf der Brust, ehe das diesige Licht wiederkehrte. Erschüttert schaute er nach rechts und bekam gerade noch mit, wie sich etwas Schwarzes im grauen Einerlei auflöste.
    »Jesus«, flüsterte er und fügte deutlicher hinzu: »Royle, haben Sie das gesehen?«
    Grady schaute auf seine Hände, die vehement zitterten, und bemerkte hinten am Sattel lange, schmale Kratzspuren, wo sich ihr Verfolger beim Sprung über das Pferd abgestützt hatte. Die Krallen hatten seinen Schritt um weniger als einen Zoll verfehlt.
    »Royle?«
    Als er aufschaute, stellte er bestürzt zweierlei fest: Erstens war der dicke Mann tot, seine Mütze genauso verschwunden wie der Großteil seines Schädels. Was übrig blieb, erinnerte Grady an ein zum Salzen aufgebrochenes Frühstücksei. Allein ihr Tempo und das Körpergewicht hielten Royle im Sattel. Zweitens stand in Aussicht, dass das Pferd alsbald erneut wegen des Blutes ausrastete, und wenn dies geschah, war Grady so gut wie tot. Sollte er den Sturz überleben, machte die Kreatur dort draußen mit ihm höchstwahrscheinlich kurzen Prozess.
    Herr im Himmel, was geht hier vor?
    Er streckte sich an Royle vorbei aus und packte die Zügel. Dann drückte er dem Toten mit beiden Fäusten gegen den linken Arm, um ihm von Lightning zu wuchten. Der Leichnam schlug mit einem Übelkeit erregenden Geräusch am Boden auf. Grady schaute nicht hin und drehte auch nicht den Kopf, um sich zu vergewissern, Royle sei nicht urplötzlich zum gefräßigen Monster geworden.

    ***

    »Was habt Ihr gemacht?«, fragte Mansfield beim Absteigen. »Was habt Ihr der Frau angetan?«
    Callow Lächeln verblasste. »Was jeder Mann an meiner Stelle getan hätte.«
    »Ihr seid wahnsinnig!«
    »Oh, bitte! Ich habe Ihnen einen Gefallen getan. Ich habe jedem in diesem gottverdammten Dorf einen Gefallen getan. Sie, mein armer, fehlgeleiteter Freund, können sich nicht vorstellen, womit Sie es zu tun hatten.«
    Mansfield drehte sich wie vom Donner gerührt um und rannte in den Nebel.
    »Sie tun ihr keinen Gefallen!«, rief Callow ihm nach, doch er achtete nicht darauf. Alles, was der Mann nun wollte, war Sylvia finden, und zwar lebendig. Andernfalls würde er Callow erdrosseln, egal welche Konsequenzen dies hatte. Er war irre, und Mansfield schalt sich selbst dafür, dass er es weder früher bemerkt noch Sylvia beim Wort genommen hatte. Jetzt war sie durch ihn zu Schaden gekommen.
    Ich bringe ihn um.
    Er fuchtelte herum, als sei der Nebel greifbar geworden, und fluchte leise, da rutschte er beinahe aus. Irgendwo voraus redete jemand, vermutlich Fowler. Es klang nach behutsamen Worten des Trostes, was Mansfield Hoffnung schenkte. Er schlug im Dunklen um sich und ließ seinen Tränen freien Lauf, weil er sie sehen – weil er unbedingt wissen wollte, wo sie war …
    Kurz darauf fand er sie.
    »Oh Gott«, schluchzte er, als Fowler, der neben ihr kniete, zu ihm aufschaute. Der Krämer klammerte sich an ihre Unterarme, als halte er Händchen, bloß fehlten diese.
    Sylvia lag auf dem Rücken und atmete stierenden Auges in kurzen Stößen. Das Gras unter ihr hatte sich dunkel verfärbt. Ob das Blut auf ihrem Korsett von den Armen stammte oder aus den anderen Wunden auf ihrer Brust, konnte er nicht sagen.
    »Sie stirbt«, sagte Fowler hilflos hervor. »Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
    Mansfield trat auf die andere Seite und fuhr Sylvia mit den Fingern über die Wange. Die Blicke der beiden trafen sich; ihre Pupillen waren
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