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Herr der Moore

Herr der Moore

Titel: Herr der Moore
Autoren: Kealan Patrick Burke
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benachbarten Straßen trotzten der verhältnismäßigen Stille, die sich dem Anschein nach über die gesamte Strecke vom Hotel an der nächsten Ecke bis zurück zur Ampel gelegt hatte. Hinter verschlossenen Türen hielten Fernseher Scharen Schlafloser bei Laune. Bloß die Sirenen blieben aus.
    Ich wischte mir Blut aus den Augen.
    Nachdem ich den alten Säufer erwischt hatte, war der Wagen ins Schlingern geraten, doch statt mich richtig zu verhalten und einzulenken, hatte ich mit reichlich Gebrüll versucht, gegenzusteuern und das Heck ruhig zu halten, wodurch der Midget einen noch engeren Bogen beschrieben hatte. Ich hatte fest damit gerechnet, mich zu überschlagen. Während einer Reihe aberwitziger 360-Grad-Drehungen war ich in äußerste Panik geraten und hatte alles um mich herum ausgeblendet, um letztendlich frontal und mit Knochen zermürbender Wucht gegen einen Laternenpfosten zu krachen.
    Dass ich angeschnallt gewesen war, hatte mir wahrscheinlich das Leben gerettet. Ansonsten wäre ich mit ziemlicher Gewissheit mit dem Kopf durch die Scheibe geschleudert worden. Nachdem ich wieder in den Sportsitz gepresst worden war, hatte ich alles wie durch einen Rotfilter wahrgenommen. Blut in den Augen. Kaum dass ich den Rückstoß verwunden hatte, war ich erneut ins Lenkrad katapultiert worden, als wöge ich überhaupt nichts. Weniger als nichts. Mindestens eine Rippe hatte ich mir gebrochen, als ich wie ein Crashtest-Dummy zwischen den straffen Schultergurten hin und her geworfen wurde. Da ich den Knacks innerlich gespürt hatte, hätte ich eigentlich Schmerz empfinden müssen, doch durch den Adrenalinschub – oder was auch immer – fühlte ich mich nur benommen. Einzig beim Einatmen stockte ich, weil es wie ein Nadelstich wehtat. Einer der Splitter musste einen Lungenflügel durchlöchert haben, denn mit jedem Zug wurde das Luftholen schwieriger.
    Als ob sich meine Lungen mit Blut füllten oder langsam kollabierten.
    In meiner morbiden Fantasie hatte ich mir bereits Bestattungsszenarien ausgemalt, noch ehe meine Hände selbstständig geworden waren: Loch in der Lunge. Hämorrhagie. Innere Blutungen. Rest in pieces – ruhe in Stücken.
    Kurz nachdem ich ausgestiegen war, brach ich zusammen. Dann zwang ich mich zum Aufstehen und knickte erneut ein, weshalb ich mich ans Auto lehnen musste.
    Mehr Blut tropfte in meine Augen. Ich rieb mit dem Handballen daran, ohne den roten Schleier loszuwerden.
    Er lag in einer Pfütze mitten auf dem Asphalt, zerteilt von der weißen Linie; eine kaputte Puppe. Die Laterne strahlte nur zum Teil direkt auf seinen Körper; vom Rest ließen sich nur schattige Umrisse erkennen. Jämmerlich klein sah der alte Kerl aus, zerknittert nach dem Sturz. Auseinandergebrochen. Leckgeschlagen und auslaufend. Sein Mantel war zerfleddert und schwarz vom Blut und Wasser, das er aufsaugte, röter jedoch am Bauch, um den sich der Stoff gewickelt hatte. Da er von dort aus bis zum Schritt aufgerissen war, sah er aus wie eine Reliefkarte des Verfalls. Ein unterschwelliger Hinweis auf die Anatomie dieser Stadt.
    Im Tod hatte er die Beine wie ein Freudenmädchen breitgemacht und lud damit jeden weiteren Autofahrer ein, über ihn zu rollen. Ich ertrug den Anblick nicht.
    Gott sei Dank blieb er gesichtslos, denn die Schatten verbargen wie ein Leichentuch seine starren Züge. Er besaß keine Erkennungsmerkmale, weder Augen noch Nase und Mund, um durch die gerinnende Schwärze zu atmen, die ihn umgab. Nichts.
    Wir mussten wie die grausigen Überreste einer Schießerei ausgesehen haben. Zwei Revolverhelden. Einer tot, bloß ohne Kugel im Kopf, der andere schwer verwundet und vom Schmerz gebeutelt, aber nicht am Boden. Noch nicht.
    Mich auf die Beine zwingend – das tat weh! – begab ich mich zu ihm. Dabei erlebte ich eine dieser gefühlten Ewigkeiten, in der ich ging und ging, jedoch anscheinend nie ankommen sollte. Ich wähnte mich auf einem Nagelbrett mit Messern in der Brust und spürte sie bei jedem Atemzug. Dass ich im Blut ersoff, nahm ich deutlich wahr, da ich immer flacher Luft holte, je weiter meine Lungen in sich zusammenfielen. Dann stand ich über ihm und schaute hinab auf die Verheerungen des Zusammenpralls. Die Flasche hatte ein Loch in seinen Hals gerissen. Sie wiederum war abgebrochen und stecken geblieben. Blut quoll stoßartig aus der Wunde, als ich auf die Knie sank. Das Glas fungierte als Katheter zum Aderlass, doch auch der hörte irgendwann auf.

    Buchdaten:

VOGELMANNS SCHATTEN, STEVEN
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