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Heldenstellung

Heldenstellung

Titel: Heldenstellung
Autoren: Sebastian Glubrecht
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Spaß, anderen Menschen wehzutun?«
    Jessica setzt sich schnaufend auf. »Leider nicht«, keucht sie. »Es war nicht seine Schuld. Ich musste ja schnell im Schrank verschwinden. In der Eile hat er den Knebel zu fest gezurrt. So was kann Anfängern passieren.«
    Sie deutet mit dem Kopf in ihr Dekolleté. »Kann mir bitte mal einer den Schlüssel für die Handschellen geben? Mir ist die Lust vergangen.«
    Ohne lange zu überlegen, greife ich in Jessicas Dekolleté, finde den Schlüssel und öffne ihre Handschellen. Sina, die mich die ganze Zeit fassungslos beobachtet hat, steht auf:
    »Ich hatte immer gedacht, das alles sei nur ein Missverständnis. Und du wärst ganz anders als dein Vater.« Ihre Stimme wird eisig. »Aber du bist auch nur ein durchgeknalltes, zugekokstes Berater-Arschloch.«
    »Was diese Situation angeht«, setzt Jessica an, »ist das ein Missverständnis. Ich stehe auf seinen Vater.« Sie wirft mir einen entschuldigenden Blick zu. »Frederick ist mir viel zu lieb.« Einen Moment überlegt sie. »Obwohl mir echt gefallen hat, wie streng du mir befohlen hast, sofort im Schrank zu verschwinden, als es geklingelt hat.«
    Schlimmer kann es nicht kommen. Leider doch.
    »Hast du ihr schon von Khamroffs Rückzug erzählt?«, fragt Jessica, während sie mit einem zweiten Schlüssel ihre Fußfesseln löst.
    »Ich bin mir nicht sicher, ob ich das hören will«, entgegnet Sina. Jessica legt die Hand- und die Fußschellen wie selbstverständlich in die Schublade des Nachtkästchens und nimmt sich aus einem anderen Schrank einen Bademantel.
    »Oh doch, Sina, das willst du hören.« Dann öffnet sie den Prosecco, schenkt ein Glas ein und hält es Sina hin. Aber die schaut sie nur angewidert an.
    »Hari-Yoga wird geschlossen«, sage ich. »Es ist meine Schuld.«
    Jetzt nimmt Sina Jessica das Glas aus der Hand und wirft. Es knallt hinter mir an die Schrankwand, zersplittert in tausend Scherben. Als Nächstes fliegt der Business-Oscar meines Vaters hinterher.
    »Ihr seid alle beide total daneben!«, schreit Sina. Ich versuche noch, die ganze Sache zu erklären, erzähle von Hari, der das Studio über meinen Vater an Khamroff verkauft hat, von dem Unfall, als Hari aus der Agentur kam, und dem wahren Grund, warum er mich nicht ausstehen kann: »Weil er sein Lebenswerk an meinen Vater verkauft hat. Und jetzt wird das Studio wahrscheinlich an einen Immobilienhai verhökert, der daraus schicke Loftwohnungen macht«, seufze ich.
    »Nein!« Sina schüttelt den Kopf. »Das glaube ich nicht. Mein Vater würde es nie verkaufen.«
    »Frag ihn doch«, sage ich traurig. Sina nickt und schaut mich ernst an. Sie ist plötzlich ganz ruhig.
    »Du hast mir schon öfter wehgetan, und ich habe dir immer wieder vergeben, weil ich dachte, du hättest ein gutes Herz.«
    »Sina, ich . . .«, beginne ich, aber sie schneidet mir das Wort ab.
    »Du hast nicht nur mein Leben zerstört, sondern auch das Lebenswerk meines Vaters. Es war eigentlich alles gut, bis du gekommen bist.«
    Sie schluchzt und hält sich die Hand vor den Mund. Dann dreht sie sich um und verlässt das Zimmer. Jessica deutet mit der Hand hinter ihr her, aber ich schüttele den Kopf. Es ist zu spät.
    Als Sina weg ist, zieht sich Jessica ihre Jeans und ein Hemd meines Vaters an. Ich sitze wie erstarrt auf dem Bett und kann mich nicht bewegen.
    »Ich gehe dann mal«, sagt Jessica irgendwann. »Kommst du klar?«
    »Nein.« Sie seufzt und schaut auf die Uhr. »Okay. Der Abend ist eh gelaufen. Lass uns ein Bier trinken.«
    Sie beugt sich aufs Bett und zieht mich hoch. Dann nehmen wir meinen Trolley, gehen in mein Zimmer und packen meine Sachen. Zum Schluss sucht Jessica noch zwei, drei Anzüge von meinem Vater heraus. Als wir die Sachen gepackt haben, schiebt sie mich aus dem Zimmer, drückt mir meine Jacke in die Hand und verlässt nach mir mein Elternhaus.
    Wenig später sitzen wir bei Wumme an der Bar. Er hat nur Augen für Jessica, die ein »Herrengedeck« nach dem anderen bestellt. Hätte nicht gedacht, dass die Assistentin meines Vaters ein so guter Saufkumpan ist. Und als solcher weiß sie zu schweigen. Denn reden kann ich jetzt nicht. Dass mein Vater Hari-Yoga auf dem Gewissen hat, findet Jessica »moralisch untragbar« und beschließt, nun auch zu kündigen. Ist mir egal. Mir ist alles egal. Wenig später liege ich total betrunken mit dem Kopf auf der Theke. Jessica hat das Interesse an meiner Depression verloren und begonnen, mit ein paar Bikern Billard zu spielen.
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