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Heldenstellung

Heldenstellung

Titel: Heldenstellung
Autoren: Sebastian Glubrecht
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Einer von denen nimmt sie irgendwann mit.
    Um kurz nach Mitternacht stellt Wumme die Stühle hoch und klemmt die Barhocker hinter die Fußleiste. Ich höre noch, wie er telefoniert. Wenig später bellt hinter mir ein Hund. Es ist Satan. Neben ihm steht Error.
    »Es tut mir alles sooo leid«, lalle ich und falle ihm in die Arme.
    »Diesmal kann ich dich nicht nachhause tragen«, sagt er und hebt eine Krücke hoch. Wir müssen laufen, oder besser gesagt, humpeln. Aber erstens bist du in deinem Zustand auch nicht schneller als ich, und zweitens tut uns beiden etwas frische Luft jetzt ganz gut.«

Dead line
    An meinem dreißigsten Geburtstag stehe ich ganz vorn in der Schlange. Am Taxistand. Als Fahrer.
    Um mein Elend zu übertünchen, habe ich mir in den vergangenen zwei Wochen einen Bart wachsen lassen. Frauen hilft eine neue Frisur ja auch beim Start in einen neuen Lebensabschnitt. Sagt Error.
    Auf dem langen Heimweg von Wummes Metall-Eck vor einem Monat habe ich ihm mein Herz ausgeschüttet. »Warum hast du mir denn nicht früher gesagt, dass du dich auch für Sina interessierst?«, hat er gefragt.
    »Weil du immer Pech mit Frauen hattest und einmal Glück haben solltest.«
    »Hat ja super geklappt.«
    Bei Error haben wir ein Bier aufgemacht, und er hat mir erzählt, dass er schon seit Längerem eine Affäre mit dieser Zoe aus dem Kurs habe.
    »Ich war nicht wirklich verliebt in Sina, ich war eher besessen. So wie damals von Doro Pesch.«
    Allerdings hätte er allmählich das Gefühl, dass er für Zoe mehr empfinde. Mir fiel ein Stein vom Herzen.
    Ich bin an jenem Abend einfach bei ihm in der Wohnung geblieben und schlafe seitdem auf seiner Yogamatte. Wenn ich aufstehe, üben wir ein paar Sonnengrüße und ein paar Stehhaltungen. Beim »Hund, der nach unten schaut« macht manchmal auch Satan mit. Error meint, das sei außergewöhnlich, und ich lasse ihn in seinem Glauben. Wir haben uns auch ein Buch mit Yoga-Weisheiten gekauft, aber es ist irgendwie nicht das Gleiche, ob man sie liest oder ob Sina und Hari sie einem ans Herz legen.
    Natürlich habe ich versucht, Sina anzurufen. Täglich. Aber sie geht nicht ans Telefon. Seit zwei Wochen ist der Anschluss von Haris Yoga abgestellt. Ich war zweimal dort und stand vor verschlossenen Türen. Einmal habe ich auch bei Sina zuhause geklingelt. Hari hat aufgemacht und mich gebeten, kurz zu warten. Als ich in den Hausflur schaute, sah ich, wie er eine eiserne Meditationsschale hochhob, damit probehalber in die Luft schlug, den Kopf schüttelte und dann eine schwere buddhistische Glocke am Griff nahm. Er haute auch damit in die Luft, nickte zufrieden und machte sich auf den Weg zurück zur Tür. Ich habe noch versucht, ihm zu erklären, dass mich ausgerechnet in diesem Fall mal keine Schuld trifft, aber wahrscheinlich hat er das vor lauter Glockengebimmel gar nicht gehört.
    Als ich es eine Woche später noch mal versuchte, waren meine Traumfrau und ihr Vater unbekannt verzogen. Die Nachbarin vermutete, »nach Indien«.
    Von meinem Ausflug in die Beraterwelt ist nur der Mercedes geblieben. Die einzig positive Überraschung der letzten Tage hatte ich, als ich für den Wagen eine Taxizulassung beantragen wollte und herausgefunden habe, dass er sogar noch eine besitzt. Ich habe zwar keinen Taxischein, aber ich hatte ja auch keinen Unternehmensberaterschein. Außerdem ist dieser Job nur vorübergehend. Für fünfzig Euro habe ich mir die Zulassung eines anderen Fahrers kopiert und mit Photoshop mein Bild eingesetzt. So kam ich zu meinem neuen Job ebenso schnell wie zu dem vorigen.
    Mein Vater hat sich nicht mehr gemeldet. Jessica meinte aber, es ginge ihm »den Umständen entsprechend super«. Mit ihr telefoniere ich noch ab und zu. Als sie ihm die Kündigung überreichte, bekam sie derartigen Ärger, dass sie einfach nicht widerstehen konnte und bei ihm geblieben ist. Hauptsache, sie ist glücklich. Ich bin es nicht.
    Ein Fahrgast öffnet die Hintertür, und sofort starte ich den Motor. Es ist einer dieser Anzugtypen, noch vor einem Monat hätte ich wohl gesagt, »einer von uns«.
    »Zum Flughafen«, nuschelt er, ohne mich anzusehen, und klappt sein Notebook auf. Seine Stimme erkenne ich sofort wieder. Die Haare an meinem Unterarm stellen sich auf. Ich werfe einen Blick in den Rückspiegel. Tatsächlich: Es ist mein Vater.
    »Tex, ich bin jetzt auf dem Weg zum Flughafen. Das Meeting war super. Die haben mir die Balanced Scorecard aus der Hand gerissen«, plaudert er ins
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