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Heldenstellung

Heldenstellung

Titel: Heldenstellung
Autoren: Sebastian Glubrecht
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Augen zu sehen. Offen gestanden würde ich jetzt nicht mal gern in den Spiegel schauen, so schäme ich mich.
    »Der verlorene Sohn kommt nachhause und braucht meine Hilfe. Das ist ja wie in einem schlechten Film«, stellt er fest. »Aber mit schlechten Filmen kennst du dich ja aus.«
    Ich koche innerlich, wage es aber nicht, zu widersprechen. Nach einer strafenden Schweigeminute spricht er weiter: »Ich habe deine Schulden bezahlt. Deine Produktionsfirma ist einer unserer Klienten.«
    Jetzt sehe ich auf. »Danke, Papa, ich . . .«
    »Das habe ich nicht für dich getan«, unterbricht er mich. »Mein guter Name stand auf dem Spiel.«
    Ein Stein fällt mir vom Herzen. Wobei ich gerade nicht weiß, ob es besser ist, meinem Vater Geld zu schulden oder der Produktionsfirma.
    »Ich werde mir einen Job suchen und dir alles zurückzahlen«, murmle ich und lasse den Kopf auf die Tischplatte sinken. »Irgendeinen Job. Und wenn ich bei McDonald’s jobbe. Du hattest recht, Schauspieler ist kein Beruf.«
    Auf einmal knallt etwas auf die Tischplatte, die rote Smoothiepampe schwappt in ihrem Glas hin und her. Erschrocken sehe ich auf, aber mein Vater hat sich schon wieder im Griff. »Erst willst du Schauspieler werden, dann klappt ein Film mal nicht, und schon schmeißt du alles hin und willst Burger braten? Du kannst nicht bei der ersten Niederlage aufgeben! Steh wenigstens zu deinen Fehlern«, sagt er wütend. »Manchmal kann ich echt nicht glauben, dass du mein Sohn bist!«
    Ein paar Augenblicke Stille, wie beim Nachladen im Feuergefecht. »Ich habe dich Monat für Monat finanziert, erst das Wirtschaftsinternat, dann die Schauspielschule und dein ganzes Lotterleben in Berlin. Aber damit ist jetzt Schluss. Es wird Zeit, dass du begreifst, wie hart das Leben ist. Du bist genau so weich wie deine Mutter!«
    Ich höre das Blut in meinen Ohren rauschen.
    »Red nicht so von Mutter. Es ist deine Schuld, dass sie . . .!«
    »Eltern sterben. Die einen früher, die anderen . . .«
    Platsch!
    Mein Vater sieht an sich herunter. Rotpampige Smoothiefruchtsuppe tropft von seinem nunmehr triefenden Shirt in eine Lache auf dem Boden, aus der Fruchtsmoothie-Glasscherben in verschiedenen Größen hervorstechen.
    Vielleicht habe ich überreagiert, aber meine Mutter ist ein sensibles Thema. Da kann man schon mal mit Gläsern werfen. Ich funkle ihn böse an.
    »Sie ist nicht einfach gestorben. Mama ist krank geworden, weil du sie verlassen hast.«
    Er winkt ab.
    »Wir haben nicht mehr zusammengepasst. So was passiert.« Er sieht mich so misstrauisch an wie der letzte Innenfeldspieler beim Völkerball den gegnerischen Superwerfer. Aber ich habe schon alles hingeschmissen.
    Zeit für die Wahrheit.
    »Ich wollte nicht so werden wie du«, sage ich. »Deshalb bin ich weggegangen.«
    Er grinst. Als hätte ich etwas Lustiges gesagt. Meine Hände umschließen den Teller. Mein Vater zieht die Augenbrauen hoch, doch sein Mund behält dieses spöttische Grinsen. »Wahrscheinlich gab es Zeiten, da wolltest du mir bloß noch in die Fresse hauen, nicht wahr?«
    Es bringt nichts, es zu leugnen. Gerade wünsche ich mir nichts mehr als das.
    »Stimmt.«
    »Nach deiner hirnverbrannten Filmaktion geht es mir gerade genauso«, stellt mein Vater fest, zieht sein nasses Fredmanshirt aus und wirft es achtlos auf den Boden. Für sein Alter ist er ziemlich durchtrainiert.
    So weit sind wir also gekommen. In seinem Blick liegen weder Mitgefühl noch Trauer. Er ist eher sachlich, prüfend, schätzt mich ab wie einen Gegner. Schließlich nickt er: »Dann setzen wir diesen Wunsch doch mal in die Tat um.«
    Ich traue meinen Ohren nicht: »Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?«
    Eine Stunde später stehe ich in einem abgehalfterten Fitnesscenter vor einem Boxring: Die Trainingsgeräte sind hoffnungslos veraltet, der Lack blättert von den Hanteln, in den Ecken stehen Holzbänke und Trampoline aus Schulsportzeiten von Turnvater Jahn herum. Die Wandfarben scheinen so matt und lustlos wie die Gesichter der wenigen Trainierenden. Durch die dreckigen Fenster fällt kaum Licht, offenbar hat hier seit Monaten niemand mehr geputzt. Im Fitnessbüro essen zwei Trainer Fastfood aus Aluschachteln.
    Auf dem Schild über dem Eingang stand mal »Mesuts Boxfabrik«, ein Scherzkeks hat die Buchstaben »abr« mit schwarzer Farbe übermalt.
    Eigentlich hätten wir uns auf der Autofahrt hierher beruhigen sollen, aber die Katze war aus dem Sack. Mein Vater hat die ganze Fahrt über kein Wort
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