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Heldenstellung

Heldenstellung

Titel: Heldenstellung
Autoren: Sebastian Glubrecht
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die Augenbrauen hoch. »Soll ich sie vorlesen?«
    »Das muss nicht sein«, entgegne ich. »Ist persönlich.«
    Adam räuspert sich und hält die Uhr direkt unter den Strahl der Deckenlampe. Laut deklamiert er:
    »Für meinen Vater und größten Helden. Dein Frederick.«
    Wie bitte? Jetzt klatschen die Umstehenden Beifall. Die Stimmung im Saal schlägt von eisig in feierlich um. Der Schnauzbartträger, der eben noch neben mir an der Bar stand, klopft mir auf die Schulter und zwinkert mir wissend zu. Mein Vater kommt und nimmt mich in den Arm. Das hat er schon zehn Jahre nicht mehr gemacht und lässt sich wahrscheinlich jetzt nur dazu herab, weil so viele Leute zuschauen.
    In dem Moment geht das Licht aus, und ein Raunen zieht durch die Menge, gefolgt von zwei Männern, die einen Funken sprühenden, mit Wunderkerzen verzierten Kuchen in Form einer DAX-Kurve hereintragen. Oder ist es eine Schlange? Jemand intoniert »Happy Birthday«, ein weiterer fällt ein, und schon interessiert sich niemand mehr für mich oder die Gravur. Die Tortenträger stellen sich als Redakteure des Wirtschaftsmagazins Good Money vor. Ihre Leser haben meinen Vater auf Platz zwei in der Kategorie »Berater des Jahres« gewählt. Einer der beiden überreicht eine ebenfalls mitgebrachte silberne Bullen-Trophäe, faltet einen Zettel auseinander und setzt zu einer Rede an.
    »Du bekommst jetzt eine Kuh überreicht«, sage ich. Aus dem Augenwinkel kann ich sehen, wie Adam der Assistentin die Uhr gibt.
    »In welchem Hotel wohnst du?«, fragt mein Vater.
    »Ich hab noch keins. Offen gestanden . . .«
    Er legt den Kopf schief und kneift kurz die Augen zusammen. Dann sagt er: »Geh schon mal runter und warte an der Garderobe auf mich!«

Grow or go
    Fredman sieht auf mich herab. Er steht auf einem schmalen Metallregal an der Wand meines alten Kinderzimmers, direkt neben He-Man. Der ist zwar einen Kopf kleiner, dafür aber eine Schulter breiter und gleichmäßiger gebräunt. Auf beiden Helden liegt Staub, doch im Gegensatz zu He-Man scheint Fredman unter der Last gebeugt. Das muss an seinem weichen Kern liegen. Ich habe die Figur damals aus blauer Knete geformt. Früher war sie für mich der Inbegriff von Schönheit, jetzt erinnert mich Fredman an einen deformierten Schlumpf. Damit spiegelt er meine gegenwärtige Verfassung ganz gut wider.
    Nachdem mich mein Vater zur Garderobe geschickt hatte, habe ich mich der alten Zeiten wegen mal kurz auf meinen einstigen Stammplatz gesetzt. Die Garderobiere schien davon nicht wirklich überrascht. Während er oben den »Business-Bullen« erhielt, habe ich auf dem Stuhl, in dem ich den Großteil meiner Kindheit verbracht habe, ein kleines Nickerchen gemacht und bin erst wieder aufgewacht, als mein Vater seinen Mantel holte. Immerhin musste mich die Garderobiere nicht ausrufen lassen.
    Früher hingen an den Wänden meines Kinderzimmers Plakate der ersten Superman- und Batmanfilme und ein paar Poster von Iron Maiden, Metallica und Black Sabbath. Mein Vater hat sie nach meinem Auszug von den Wänden genommen. Und den Putz offenbar gleich mit. Der Raum sieht jetzt aus wie die Vorzeigesuite eines Vier-Sterne-Hotels: Einzelzimmer de luxe, mit Fischgrätparkett, drei weißen Wänden und einer dunkelbraunen Koikarpfentapete. Die Chromlampen setzen ebenso deutlich Akzente wie die Leiste, auf der Fredman neben He-Man erblasst. Als ich meinem Vater damals erzählte, dass ich Schauspieler werden will, meinte er lediglich, das sei kein Job, sondern ein Kleine-Jungs-Traum. Von Berlin aus wollte ich ihm das Gegenteil beweisen.
    »Eines Tages wirst du bei mir auf der Matte stehen und mich um einen Job anbetteln«, hat er mir hinterhergerufen, als ich aus der Tür gestürmt bin. Und ich habe etwas unglaublich Pathetisches gesagt wie: »Eines Tages wirst du stolz sein, dass der Mann, der dich von der Leinwand anlächelt, dein Sohn ist.«
    Hat nicht geklappt.
    Zu der Filmpleite kommt jetzt auch noch Geschenkediebstahl hinzu. Darauf gibt es keine Bewährung. Auf dem Weg ins Esszimmer erkenne ich das Haus meiner Kindheit kaum wieder. Nicht nur, dass mir alles viel kleiner vorkommt; auch sind all die Bilder, Gardinen und versponnenen Kunstwerke meiner Mutter verschwunden. Sie hingen noch hier, als ich auszog. Mit den Bildern ist der verspielte Charme meines Elternhauses verloren gegangen, jetzt wirkt es wie eine Mischung aus Designmuseum und Junggesellenloft.
    Klar, ich war 10 Jahre nicht hier, aber mein Vater hätte mich ja mal
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