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Heldenstellung

Heldenstellung

Titel: Heldenstellung
Autoren: Sebastian Glubrecht
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Frühstücks optimieren sollte. Seine Rolle am Frühstückstisch bestand darin, die Financial Times zu lesen. Ich erinnere mich noch an die Streitereien, als wir an meinem vierten Geburtstag einfach im Kinderzimmer herumtoben wollten, er sich aber in den Kopf gesetzt hatte, mit uns Monopoly zu spielen. Die Hälfte meiner Kindergartenfreunde musste weinend abgeholt werden. Ein Jahr später stieg mein Vater zum Partner auf. Ab da ließ er sich kaum noch zuhause blicken. Und eines Tages wendete er die SWOT-Analyse auf seine Ehe an. Wissen Sie, was das ist?«
    Der Cowboy nickt: »Eine unserer besten Methoden, wenn es darum geht, eine Firma abzuwickeln oder zu schauen, was aus der Sache noch herauszuholen ist. Das S steht für Strength oder Stärken, das W für Weakness, also Schwächen, das O für Opportunities, also Chancen, und das T für Threats, die Risiken. Zu welchem Ergebnis ist er gekommen?«
    Ich muss kurz schlucken, mein Mund ist mittlerweile etwas trocken geworden. »Die Schwächen und Risiken müssen wohl überwogen haben, die Ehe meiner Eltern wurde abgewickelt und geschieden.«
    Die Lippen meines Gegenübers schließen sich über dem Goldschatz. »Wie ging es weiter?«, will er wissen.
    »Oh, das wird Sie auch interessieren«, fahre ich leise fort. »Meine Mutter hat sich zurückgezogen und wurde krank. Sehr krank. Ein Jahr nach der Scheidung ist sie gestorben. Da war ich sechs. Mein Vater schob mich auf ein Elite-Internat voller Elitesöhne ab. Mit 18 flog ich ohne Elite-Abschluss raus und zog nach Berlin. Das alles stand nicht in der SWOT-Analyse.«
    Mein Barnachbar sieht mich mitleidig an. Ich ärgere mich, dass ich mich von meinem Zorn derart habe mitreißen lassen. Wieso muss ich Idiot auch auf dem Geburtstag meines Vaters an der Bar stehen und weinerlich erklären, warum ich es im Leben nie zu etwas bringen konnte.
    Der Cowboy legt mir die Hand auf die Schulter.
    »Sorry, son«, sagt er, prostet mir zu und trinkt sein Bier in einem Zug halb leer. Der Schaum bleibt im Schnauzer hängen. Wie ein Bernhardiner streckt er die Zunge heraus und schlabbert sich den Bart wieder sauber. »German beer!«, stellt er zufrieden fest. Ich bin mir sicher, dass er in seinem Schnauz noch weitere Lebensmittel bunkert. Da wäre genug Platz für eine Banane.
    »Einen Cuba Libre«, bestelle ich beim Barkeeper, »auf den Kapitalismus.« Der Cowboy grinst, dann kommt von der anderen Seite jemand, der ihn kennt, und verwickelt ihn in ein Gespräch.
    Ich warte, bis mein Drink da ist, und mache mich auf den Weg zu meinem Vater. Gerade ist seine Entourage einige Meter von ihm abgerückt. Er steht allein und tippt etwas in sein Mobiltelefon. Wenige Schritte vor ihm tritt mir der PowerPoint-Prinz in den Weg. Ich zucke zusammen.
    »Keine Angst«, sagt er und strahlt übers ganze Gesicht. Genau das ist es, was mir Angst macht.
    »Ich habe Neuigkeiten«, freut er sich. »Jessica, die Assistentin Ihres Vaters, hat mir verraten, wer Sie sind, und da habe ich mal ein paar Nachforschungen angestellt . . . Ah, mein Backoffice hat mir gerade ein Update geschickt«, fährt er fort und zückt sein Smartphone. »Also: Die Kollegen haben sich mit unserem Partnerbüro in Los Angeles kurzgeschlossen. Sie haben offenbar einen Cash-Engpass, weil Ihr Film nicht optimal kalkuliert wurde. Wobei Cash-Engpass vielleicht das falsche Wort ist. Mir sieht das eher nach einer Null-Basis-Kalkulation aus. Statt die Prozesse zu verbessern, sind Sie abgereist. Sie schulden Ihrem Vater . . .« Er blickt auf sein Smartphone und macht ein erstauntes Gesicht. »Uih!!! Eine ganze Menge Geld. Wann wollen Sie es ihm sagen?«
    Am liebsten gar nicht.
    »Sobald er eine Sekunde Zeit für mich hat.«
    Der Mann nickt und streckt die Hand aus. Als ich sie nicht ergreife, formt er aus Zeigefinger und Daumen eine Pistole und zielt auf mich. Sein Gesicht bleibt dabei so sachlich, als würde er einen Einkaufszettel studieren. »Egal, wie Sie es anstellen, Sie werden nie sein Nachfolger. Dazu haben Sie nicht das Zeug.« Er schießt mich ab.
    Zum Glück bemerke ich in diesem Moment, dass ich meinen Stinkefinger wieder bewegen kann.
    Mein Vater kommt jetzt zu uns herübergeschlendert, den Blick immer noch auf sein Smartphone gerichtet.
    »Bei Wayland brauchen wir eine Turnkey-Solution«, sagt er, ohne aufzublicken. Adam Giebowski überlegt kurz und nickt dann. »Ohne Outplacement kriegen wir keinen Social Liftoff hin.« Die beiden sehen in meine Richtung, aber durch mich
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