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Heinrich Mueller 05 - Mordswein

Heinrich Mueller 05 - Mordswein

Titel: Heinrich Mueller 05 - Mordswein
Autoren: Paul Lascaux
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drauf«, flüsterte Phoebe Melinda zu und bewunderte den glasklaren Blick und die waidwund geschminkten Lippen.
    Es gab einen violett leuchtenden Urano Malbec 2007 aus Mendoza, Argentinien, dunkel und schwarzbeerig in der Nase, fein und komplex im Mund, mit Veilchen-, Cassis-und Holunderaromen und einem sauberen Abgang, ein sehr süffiger Wein.
    »Damit mir der Bielersee aus den Gedanken geschwemmt wird«, erklärte Leonie. »Und wer das nicht mag, trinkt eben den felsenhöhlengelagerten Ermitage von Adrien Mathier, schmeckt in seinem Süße-Säure-Spiel wie ein Honigwein.«
    »Baby’s on fire«, krächzte Brian Eno, »better throw her in the water.«
    Die schräge Elektronik im Hinter-und die schrille Gitarre im Vordergrund entsprachen Leonies Gefühlen gegenüber den Elementen.
    »Atheismus«, sagte Heinrich Müller zu Louise Wyss, und in ihren leuchtenden Augen schwand jede Bedeutung, die er dem Begriff jemals zugemessen hatte.
    »Atheismus«, er versuchte, das entstandene Loch zu stopfen, »ist die Überzeugung von der Nicht-Existenz höherer Mächte.« Er kam sich gleichzeitig hilflos und überheblich vor.
    Sie schenkte ihm ihre ungeteilte Zuwendung. Es gab nichts, worüber sie hier und jetzt lieber Bescheid gewusst hätte als über Atheismus.
    Heinrich schluckte leer, aber bevor er zu einer längeren Erklärung anhob, verschloss sie ihm die Lippen mit ihrem Zeigefinger, auch wenn es ihr Mund viel lieber getan hätte.
    »Wie hat dein erster Kuss geschmeckt?«
    »Wie schmeckt das Salz auf der Haut der Geliebten?«
    »Wie riecht die Angst oder die Verzweiflung?
    »Wie riecht Feuer, das auf dich zukommt?«
    »Und wie schmeckt der Speichel im eigenen Mund?«
    Phoebe tippte wilde SMS, die hoffentlich Gwendolin erreichten und sie von den neuesten Entwicklungen in Kenntnis setzten.
    »Die Schleimhautoberfläche im Innern eines Erwachsenen ist etwa 250 Mal so groß wie seine äußere Haut: etwa 400 Quadratmeter«, erklärte Cäsar Schauinsland dem Störfahnder.
    »Wunderbare Information«, erwiderte dieser. »Kannst du mir auch sagen, wie viele dieser Quadratmeter durch den sauren Wein gestern Abend verätzt worden sind?«
    »Danke jedenfalls, dass du Pascale wieder in den Dienst zurückberufen hast.«
    »Keine Ursache«, sagte Spring, »der Polizeidirektor war von eurer Rettungsaktion begeistert. Er kennt halt nicht die ganze Wahrheit.«
    Cäsar konterte: »Schon Wilhelm von Ockham definierte: ›Wenn es eine komplizierte und eine einfache Erklärung gibt, sollte man zuerst die einfache Erklärung verwenden und diese so lange beibehalten, wie sie den Tatsachen standhält.‹«
    »Wir könnten auch von der hypothesengerechten Informationsauswahl sprechen«, mischte sich Pascale Meyer ein und fuhr fort: »Ich habe mich schlaugemacht! Das ist eine einfache Methode, mit sich selbst im Reinen zu sein, indem man aus allen Informationen diejenigen herausfiltert, welche die eigene Meinung bestätigen. Jede Ideologie fußt darauf, nur zur Kenntnis zu nehmen, was dem Vorurteil entspricht. Diese reduktiven Hypothesen bieten Welterklärungen aus einem Guss an. Dies erklärt ihre Beliebtheit und ihre Stabilität.«
    Cäsar blieb mit offenem Mund stehen. Melinda wurde käsbleich, und Phoebe vergaß zu tippen.
    Selbst Leonie dachte einen Moment lang nicht an die traumatischen Erlebnisse der letzten Nacht und mischte sich ein: »Das erinnert mich an die selbst erfüllenden Prophezeiungen. Wenn man sich auf etwas zu Erwartendes konzentriert, dann wird man Ereignisse ausblenden, die dem widersprechen, und das höher gewichten, was dem zu Erwartenden entspricht. Denkt nur an Horoskope, Prognosen, Krankheitsbilder.«
    ›Emotional landscapes‹, beschwor Björk im Hintergrund mit eiskalten isländischen Klangmustern.
    Nur Nicole blieb die Ruhe selbst und erklärte Heinrich ihre neue Sammelleidenschaft: Dinge, die Leute in Büchern vergessen oder hinterlassen, wenn sie sie ins Antiquariat oder auf den Flohmarkt bringen: eine 20-Franken-Note; Quittungen von Cafés, Restaurants, Buchhandlungen, Bus-und Zugreisen; ein Familienfoto in einem Raymond-Chandler-Krimi, schlecht zentriert, das Kinder beim Spielen zeigt, in der Westschweiz entwickelt, denn es steht »août« auf der Rückseite. Oder Gegenstände, die statt Eselsohren als Buchzeichen verwendet worden sind: eine Postkarte mit Urlaubsgrüßen von der Côte d’Azur; ein Brief auf Holländisch (oder war es Schwedisch?); Eintrittskarten in Museen oder Konzerte;
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