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Heinrich Mueller 05 - Mordswein

Heinrich Mueller 05 - Mordswein

Titel: Heinrich Mueller 05 - Mordswein
Autoren: Paul Lascaux
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meiner Kindheit sehne ich mich nach Anerkennung, wie es viele Kinder tun. Leider hatte ich keine gleichaltrigen Kollegen, sodass ich mich auf die Viererbande um André Huber einließ. Ich habe viel von ihnen profitiert, wurde aber gleichzeitig schamlos ausgenutzt und konnte nie das Selbstvertrauen entwickeln, das ich im späteren Leben gebraucht hätte. Ich sage das nur als oberflächliche Erklärung und nicht als Entschuldigung für das, was später passiert ist. Denn ich habe mich in die teilweise illegalen Aktivitäten mit einspannen lassen.« Er machte eine kurze Pause. »Nicht, dass es mir leid tun würde. Darüber sollen andere richten. Ich habe die Jungs auch heimlich beobachtet, wenn ich an ihren Spielen nicht teilnehmen durfte, denn an der Blutsbrüderschaft wollten sie mich nicht beteiligen, und mein Gesicht hatte im Ast der Blutbuche nichts zu suchen. Ich habe den Baum seither öfter besucht. Der Stamm ist mächtig gewachsen, der Ast liegt jetzt beinahe drei Meter ab Boden und weist den doppelten Umfang auf. Im selben Maße sind auch ihre eingekerbten Gesichter gewachsen, wie fratzenhafte Masken. Und als ich das letzte Mal davorgestanden bin, ist mir aufgefallen, dass sie auch genau das im echten Leben geworden sind: fratzenhafte Masken. Du verstehst: Der Baum spricht die Wahrheit, und sie selber haben den Samen dafür gelegt. Nun hängen sie wie ein Mahnmal über einem Weg, der ins Nirgendwo führt, wo sich allenfalls ein Liebespaar mit einer Herde von Kühen trifft.«
    »Deswegen bist du auf die Idee gekommen, dich zu rächen?«
    »Rache! Was für ein hässliches Wort. Ich wollte nicht mich rächen, sondern die aus den Fugen geratene Welt wieder in Ordnung bringen. Verstehst du: Sie sollten dasselbe Schicksal erleiden, das sie der Welt zugemutet hatten.«
    »Das Pfählen also für die Pfahlbauer …«
    »… und die Erschießung für den Waffenhandel.«
    »Das war’s?«, fragte Leonie.
    »Nein. Ich hätte weitergemacht, bis die ganze Viererbande ihr gerechtes Schicksal gefunden hätte.«
    »Du verschweigst mir etwas. Das sind nicht deine wahren Beweggründe.«
    »Doch. Ich lüge nicht.«
    »Du lügst. Erzähl die ganze Geschichte rückwärts.«
    »Ich soll …?« Ernst Glauser war erschüttert. Nicht einmal seine Beichtgenossin glaubte ihm mehr.
    »Lügner können eine einmal erfundene Geschichte nicht rückwärts rekonstruieren«, dozierte Leonie. Sie hatte dies vor Kurzem gelesen, und es hatte ihr eingeleuchtet.
    Aber Ernst Glauser ließ ihr diese Chance nicht. Er servierte ein letztes Getränk, diesmal einen Süßwein, der alle andern Gerüche überdeckte. Leider auch den des Schlafmittels, das er in Leonies Glas getröpfelt hatte.
    Dann setzte er sich an sein Pult und schrieb einen weiteren Brief:
    »Diese Aufregung um nichts und wieder nichts. Glaubt tatsächlich jemand, dass ich Katzen umbringe? Womöglich, um damit auf etwas hinzuweisen? Ich hätte ja geradezu eine mystische Ader. Was kommt als Nächstes? Kornkreise? Mehltau? Die sieben Plagen?
    Alles, was ich anfasse, ist seriöse Handarbeit. Und auch wenn Sie inzwischen ahnen mögen, wer ich bin, so kennen Sie doch nur meine äußere Natur. Was mein Inneres bestimmt, wird Ihnen immer unbekannt bleiben. Kümmern Sie sich lieber um Ihre Freundin, die die Neugier zu unüberlegtem Handeln verleitet hat. In diesem Fall würde ich sie ungern als nächstes Opfer sehen. Aber was bleibt mir übrig? Bisher können Sie mir nichts nachweisen, alle Spuren sind verwischt. Geben Sie sich keine Mühe.
    Aber mit Leonie Kaltenrieder habe ich nun ein brennendes Problem, das ich nicht vorhergesehen habe. Das sage ich Ihnen ganz im Vertrauen und im Wissen darum, dass ich auch dieses Problem aus der Welt schaffen werde. Sie werden hautnah dabei sein, wenn ich Ihnen meine Lösung präsentiere, und Sie werden sich wünschen, mich niemals ins Visier genommen zu haben. Denn bisher habe ich mich nur an denen gerächt, die es auch wirklich verdient haben. Nun zwingen Sie mich zu Taten, die ich lieber nicht begehen würde. Aber sei’s drum. Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt.«
    Zweimal las er das Geschriebene, und als er erkannte, dass er sich nur noch rechtfertigte, zerriss er das Papier und ließ es in einem Aschenbecher in Flammen aufgehen.
    Als Leonie endlich tief und fest schlummerte, packte er sie in seinen Renault und fuhr zurück nach Twann.

Samstag, 21.8.2010
    Nicole Himmel, Heinrich Müller und Bernhard Spring standen an der Reling des
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