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Heimspiel

Heimspiel

Titel: Heimspiel
Autoren: Wolfram Weimer
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ist das alles unheimlich, unwillkürlich umfasst er die Naht seines rechten Hosenbeins mit Daumen und Zeigefinger.
    Die Kanzlerin empfängt ihn nicht draußen, wie sie es sonst gern macht. Instinktiv kaschiert sie das Konspirative ihrer Nachhilfestunde. Der Regierungssprecher führt ihn hinein, vorbei am Zimmer der Büroleiterin, deren Schreibtisch so rund und groß da lauert wie eine Riesenflunder aus hellem Holz. Zu helles Holz, denkt sich Netzer, das ist aus der Mode. Er grüßt und grinst zur Seite und hätte die Kanzlerin beinahe umgerannt, denn die kommt ihren Gästen gern an der Flunder entgegen.
    »Guten Tag, Herr Netzer.«
    »Guten Tag, Frau, ähm … Frau Bundeskanzlerin.«
    Netzer ist verlegen, was die Kanzlerin sofort spürt, denn die Verlegenheit ist ihre Domäne.
    »Na, dann kommen Sie mal rein«, sagt sie deshalb rasch und burschikos. »Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie mir ein paar Nachhilfestunden in Sachen Fußball geben. Wissen Sie, Sport ist nicht gerade meine Stärke. Als Kind konnte ich kaum einen Abhang hinuntergehen, ich habe Gleichgewichtsstörungen«, gesteht sie.
    Netzer fummelt trotzdem noch verlegen mit seinen Fingern und nickt nur andeutungsweise, als er das von den Gleichgewichtsstörungen hört, denn ein zu heftiges Nicken wäre ihm vorgekommen wie ein: »Ja, ja, das merkt man.« Doch Netzer ist feinfühlig. Also nickt er nur minimal, eigentlich senkt sein Nickansatz die Augenlider bloß ein wenig nieder. Und auch das registriert die Kanzlerin, denn in der Balance von Autorität und Achtung hat sie gar keine Störung.
    Netzer fühlt sich ein wenig wie im Museum. Diese kühle, fremde Eleganz, raumhohe Fenster, die Leere der Mitte, große weiße Wände, der Kokoschka-Adenauer an der Wand. Er spürt das klinische Pathos des Minimalismus, das einen auch in Galerien überfällt. Netzers Auge schweift zum sonderbaren Globus auf dem Schreibtisch der Kanzlerin. Die Meere darauf sind schwarz. Er fühlt sich wie bei einer Lehrerin, dabei soll er doch der Lehrer sein. Aber es gibt Blumen. Erstaunlich viele sogar. Die Kanzlerin liebt Blumen. Da trifft es sich gut, dass ein südamerikanischer Botschafter ihr regelmäßig einen reichen Strauß Duftendes herüberschickt. Also leuchten saftige Rosen, an denen sie sich freut wie eine gute Gärtnerin.
    »Setzen Sie sich doch«, sagt sie endlich, als er gerade eine Gruppe meterhoher Schachfiguren aus Holz betrachtet. »Die hat mir der Waldbesitzerverband geschenkt, zunächst nur eine Dame, jetzt sind ein König und zwei Bauern dazugekommen.«
    Netzer ahnt, dass die Kanzlerin Dame und König in einem personifiziert. Doch wer sind die Bauern? Er fühlt sich wie einer von ihnen. Sie setzen sich, und die Kanzlerin schenkt Kaffee in die schmalrandigen KPM-Tassen. Netzer will keinen Zucker, er achtet noch immer auf die Figur. Sie nicht.
    »Womit genau kann ich Ihnen helfen?«, fragt er schließlich.
    »Ich brauche Sie als Trainer. Als Fußballtrainer.«
    »Trainer war ich nie. Trainer sind arme Hunde. Sie sitzen immer im Kalten. Immer unter Druck, immer auf Abruf, Sündenbock für alle. Von Zufällen abhängig.«
    »Wie in der Politik. Nennen wir Ihre Position also die eines Beraters. Ich möchte mehr vom Fußball wissen. Können Sie mir zum Beispiel die deutsche Vereinslandschaft politisch deuten?«, fragt sie und verblüfft ihn damit.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Na ja, es gibt doch eher Arbeitervereine mit sozialdemokratischen Milieus, es gibt Ost-Nostalgieklubs, und es gibt eher bürgerliche Vereine. Das sagt zumindest mein Fraktionschef.«
    »Also, die meisten Fußballer sind völlig unpolitisch, die meisten Fans auch. Die pfeifen sogar, wenn im Stadion ein Politiker auftritt. Die Fußballszene mag keine Politik«, sagt es und schaut sogleich verunsichert, ob das nicht beleidigend war. Darum redet er rasch weiter: »Bei den Funktionären ist das natürlich anders. Da gibt es schon Vorlieben.«
    Zu seiner Überraschung holt die Kanzlerin aus ihrer Akte eine Bundesligatabelle hervor.
    »Dann gehen wir das doch mal durch. Wenn Sie den Teams trotzdem Parteien zuordnen müssten, welches wäre dann welche?«
    Netzer wiegt den Kopf und zieht die Kopieseite der Tabelle gequält zu sich.
    »Also, wenn Sie es so wollen, dann steht der FC Bayern für die CSU. Werder Bremen eher für die SPD.«
    »Was ist mit denen?«, fragt sie und drückt ihren dicken Daumen auf den VfB Stuttgart.
    »Die gelten als konservativ, die sind so konservativ, dass sie jedes Jahr zum gleichen
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