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Heimspiel

Heimspiel

Titel: Heimspiel
Autoren: Wolfram Weimer
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Termin einen Hund … äh, Trainer feuern.«
    Netzer geht die Tabelle komplett durch, dabei wird mit einigen verbalen Stelzereien der HSV als hanseatisch-bürgerlich, Dortmund erdig-großkoalitionär, Mainz karnevalistisch, Leverkusen kapitalistisch-kalt, der FC St. Pauli links-piratig und der SC Freiburg als grün-randständig beschrieben.
    »Und Frankfurt?«
    »Eintracht Frankfurt ist eine Diva. Da können Sie alles erleben. Reaktionäre und Revoluzzer. Leidenschaftlich. Unberechenbar.«
    »Prima, da gehen wir zusammen hin!«, flötet die Kanzlerin ganz gegen ihr Naturell der Kontrolle und Behutsamkeit.
    Im Grunde liebt sie das Berechenbare, nun aber öffnet ihr der Fußball die Kategorie des Unberechenbaren. Sie leistet sich also den kleinen Ausflug in die Anarchie. Ganz bewusst allerdings.
    »Frankfurt ist genau das Richtige!«
    Netzer ist verblüfft, aber einverstanden, denn er hat das Anarchische immer in sich getragen wie ein Zusatzorgan. Früh hat er erkannt, dass das Anarchische schöne Doppelpässe mit dem Systematischen eingehen kann. So hat er sein Vermögen gemacht, manches davon in Frankfurt. Da ist er einfach häufig – für Fußballgeschäfte. Die erste Lektion geht zu Ende. Netzer verlässt das Kanzleramt in die Tiefe des nächtlichen Raums.
    Die Nominierung von Franz Beckenbauer gerät ein wenig aus den Fugen. Das rasche Signal der Kanzlerin entfacht ein Medienspektakel, in dem die Frage erst einmal untergeht, wessen Kandidat er nun genau ist. Noch ehe der bayerische Ministerpräsident seine List auskosten kann, hat die Kanzlerin ihn schon überholt. Die Bayern können kaum verbreiten, dass sie die Kanzlerin zu etwas getrieben haben, denn die Medien überschlagen sich und machen die Beckenbauer-Story zu ihrer eigenen Sache.
    Noch am selben Abend zeigen die Fernsehsender Kaiser, König, Lebemann – Eine Realityshow (RTL), die Dokumentation Seine zehn besten Flanken (n-tv), Franzissimo – Trappatonis Thronrede (Sport1), Deutschland sucht den Superkaiser – Stefan Raab und Heidi Klum machen den Präsidententest (ProSieben) und die soziale Lebensreportage Wir hatten nix. Die Kindheit in Armut, das Leben in Anmut (ARD). Die Bild -Zeitung druckt bereits am nächsten Tag postergroß die Kapitänsbinde von 1974, der Stern kündigt mit »Franz, Fußball und die Frauen« ein Foto-Sonderheft an, der Spiegel verkauft ein Hitler-Special mit DVD, Titel: »Was der Führer nicht wissen konnte: Die Wiederkehr des Kaisers!«
    Einzig der Leitartikel von Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung warnt vor »einer Boulevardisierung der Republik« und befindet: »Am Hochaltar des Politischen sollten die Messdiener keine Fußballschuhe tragen!« Doch Prantl bekommt keine Resonanz, selbst das linke Feuilleton findet Gefallen am Bild einer »tiefenentspannten, spielerischen Schaun-mer-mal-Republik«. Der Chefredakteur der Zeit preist in einer sofagemütlichen Talkshow den Quereinsteiger aus dem Münchner Arbeiterviertel, den Sohn eines Postobersekretärs aus Giesing, mit den gefühlvoll-pathetischen Worten: »Ich glaube, Beckenbauer wird Brückenbauer.« Höhepunkt der ersten Medienwelle wird jedoch eine ZDF-Sendung unter Moderation von Thomas Gottschalk, in der spontan alle noch lebenden Weltmeister aus Deutschland zu einem Chor versammelt werden. Der singt scheppernd: »Einer für alle, alle für einen.« Lothar Matthäus hat dabei Tränen in den Augen.
    Bevor die Opposition auch nur einen Einwand vorbringen kann, geschweige denn einen Gegenkandidaten, haben die Medien das Feld für den Kaiser planiert. Die FAZ empfiehlt der Linkspartei, es doch mit der DDR-Fußballlegende Jürgen Sparwasser zu versuchen. Die Sportzeitschrift Kicker bringt eine Titelgeschichte zur Frage, ob man die Position des Liberos als taktisches Retroelement nicht wieder neu erfinden müsste. Und TV-Kommentator Marcel Reif witzelt während eines Champions-League-Spiels des FC Bayern, man solle die Allianz Arena in München doch in Franz-Beckenbauer-Stadion umbenennen – die Allianz werde trotzdem zahlen und sich »vor dem Kaiser verneigen«. Im Aufsichtsrat der Allianz bricht daraufhin Unruhe aus, zumal sich auf Facebook Communitys bilden, die eine »Allianz für Franz« und eine »Arena mit Rang und Namen« fordern.
    »Das ist ein defining moment im Wahlkampf!«, donnert der Generalsekretär, »aber wir sind unsichtbar. Die Medien machen ihr Spiel, und die Bayern sahnen alles ab. Der bayerische Ministerpräsident hat doch tatsächlich eine
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