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Heimspiel

Heimspiel

Titel: Heimspiel
Autoren: Wolfram Weimer
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nach der Kanzlerin als die mächtigste Person im Raum. Weil sie mehr weiß als die anderen. Und weil sie weiß, wie die Kanzlerin über diesen und jenen wirklich denkt. Der Regierungssprecher presst ein »Super« über seine Lippen. Die Resonanz sei »wunderbar«. Doch für die anderen klingt es ein wenig nach Schmeichelei auf Abruf, denn der Auftritt war zwar fehlerfrei, aber auch blass, für die eigenen Anhänger zu langweilig. Sie wirkte konfliktscheu und müde nach der Woche auf Auslandsreisen. Manche wollten gar einen Schuss Selbstgefälligkeit entdeckt haben.
    Der Regierungssprecher spürt das und zieht den Ausdruck einer Onlinerezension von spiegel.de aus einer Klarsichtfolie und liest vor: »Mit der Souveränität und Grundruhe eines Franz Beckenbauer hat sie die Bälle im rhetorischen Spiel verteilt. Und immer wenn es brenzlig wurde, zeigte sie stoische Libero-Qualitäten.« Hätten wir nicht besser schreiben können. Die Büroleiterin lehnt sich zufrieden zurück, nicht einmal der Kanzleramtschef verzieht einen Mundwinkel.
    Es entsteht eine kurze Pause, doch ehe der Kanzleramtschef mit seinen Akten raschelt, brummt die Kanzlerin:
    »Darf ich mal fragen, was ein Libero genau macht?«
    Nun lehnen sich alle zurück, denn für einen Mittwoch signalisiert die Frage maximale Entspannung. Aber noch bevor der Regierungssprecher zu einem fußballerischen Grundsatzreferat anhebt, öffnet sich die Tür und der Generalsekretär der Partei stolpert herein. Er stolpert immer herein, und diesmal verzieht die Büroleiterin den Mund. Denn noch weniger als den Fraktionschef mag sie den Generalsekretär. Kaum dass er den Raum bestolpert und das Gespräch unterbrochen hat, schaut die Büroleiterin demonstrativ aus dem Fenster auf die Spree. Der Kanzleramtschef registriert das genau, und also begrüßt er den Generalsekretär mit einer für ihn untypischen Frechheit.
    »Na, Sie Störenfried, was gibt’s Neues?«
    »Beckenbauer soll Bundespräsident werden!«, und als müsse er es offiziöser untermalen, ruft er gleich noch einmal: »Franz Beckenbauer, der Kaiser, wird nominiert! Von unseren CSU-Freunden aus Bayern.«
    Für einen Moment bleibt er im Türrahmen stehen, als wisse er nicht genau, ob man bei einer solchen Nachricht stramm stehen bleiben müsse. Vor allem das eingefügte Kaiser-Etikett scheint allen kindisch deplatziert, die Büroleiterin schaut wieder auf die Spree.
    Eine Pausensekunde der Peinlichkeit folgt, denn keiner weiß, ob das nicht ein Scherz ist. Doch so einen, im Türrahmen stehend und mit den aufgerissenen Augen eines gymnasialen Strebers, würde sich der Generalsekretär nie leisten – dafür ist er nicht selbstbewusst genug. Zugleich ärgert sich jeder, dass ausgerechnet er von der Nachricht als Erster weiß. Andererseits schießt allen das journalistische Nachrichtenkribbeln ins Antlitz. Der Generalsekretär genießt die Aufmerksamkeit, denn einerseits hat er nun sogar den kühlen Blick der Büroleiterin auf sich gezogen; andererseits hat er noch Details parat und wartet im Stehen auf Rückfragen. Die Runde wiederum spürt, dass man es der Kanzlerin überlassen sollte, das emotionale Gefüge der Situation zu definieren. Das macht sie dann auch, freilich mit der überraschend kühlen Pointe:
    »Der war doch Libero, oder?«
    Diese Reaktion verblüfft alle bis auf die Büroleiterin. Die schmunzelt.
    Der Regierungssprecher, ein Bayer obendrein, passt zurück: »Und was für einer. Der beste, den wir je hatten!«
    »Er war überhaupt der beste Fußballer, den wir je hatten«, korrigiert der Kanzleramtschef im Ton staatsmännischer Würde.
    Enttäuscht holpert der Generalsekretär nun voran, denn selbst mit seiner Exklusivnachricht hat er offenbar wieder nur eine Nebenrolle. Mit leicht geöffnetem Mund kommt er zu seinem Stuhl, und ehe er sich setzt, räuspert er sich und erklärt im verlegenen Duktus eines stellvertretenden Klassensprechers:
    »Ja also, er traf sich gestern Abend mit dem bayerischen Ministerpräsidenten in seinem Haus in Österreich. Da haben die beiden den Coup ausgeheckt. Die Nachricht läuft seit zwanzig Minuten als Gerücht über den Ticker. Und der bayerische Ministerpräsident wird schon mit der Meldung zitiert, Bayern sei jetzt mal am Zuge bei der Besetzung des höchsten Amtes im Staat.«
    Endlich setzt er sich, und alle sind erleichtert, dass er das Wort vom Kaiser diesmal vermieden hat. Kaum auf dem Stuhl, faltet er die Hände auf dem Tisch wie zum Gebet und richtet seinen
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