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Heimspiel

Heimspiel

Titel: Heimspiel
Autoren: Wolfram Weimer
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braven Blick auf die Kanzlerin. Hat sie davon gewusst, oder haben die Bayern sie wieder einmal brüskiert? Das fragen diese Hände, der Blick hat nicht die Kraft dazu.
    Die Kanzlerin beachtet ihn keinen Augenblick und sinniert über ihre beiden bisherigen Bundespräsidenten, von denen einer überempfindlich, der andere unterempfindlich gewesen ist. Eine Frau hätte sie gern in dem Amt, doch das hat sich nun erledigt, denkt sie und fragt in die Runde:
    »Und? Was machen wir?«
    Der Fraktionschef, inzwischen eingetroffen, aber bislang noch ohne jede Wortmeldung, platzt blitzschnell und mit Emphase heraus:
    »Wir setzen uns an die Spitze der Bewegung, geben sofort eine Presseerklärung heraus, wir sind dabei, tief überzeugt, er hat Großes für das Land geleistet, ein glänzender Kandidat und so weiter.« Und nach einer Sekunde Einhalt, in der seine Augäpfel Links und Rechts einfangen, fügt er hinzu: »Außerdem verbreiten wir in Berlin, dass das unsere Idee ist.«
    Damit hat er das Ungesagte gesagt, nämlich dass die Kanzlerin übergangen worden ist, und indem er es sagt, erhebt er sich über sie. Was alle sofort als großen Fehler erkennen. Wusste er vielleicht von dem Plan, steckt eine größere politische Intrige dahinter?
    »Brauchen wir nicht einen Kandidaten, der uns politische Optionen eröffnet? Eine grüne Frau zum Beispiel?«, opponiert der Kanzleramtschef fordernd. »In einem Jahr sind Wahlen. Kurz vorher wird der Bundespräsident gekürt. Das Thema ist hochemotional und strategisch bedeutsam zugleich. Wir sollten uns von den Bayern nicht treiben lassen.«
    »Aber gegen den Kaiser kann man nicht argumentieren. Die Idee mobilisiert Zustimmung von selbst. Und wir entwenden den Sozialdemokraten ganz nebenbei den Fußball! Zumal Beckenbauer zeitlebens ein Konservativer gewesen ist. Gerade unsere konservativen Kernwähler brauchen jetzt Motivation, um auch zur Wahl zu gehen«, kontert der Fraktionschef.
    Die Schnelligkeit, mit der politische Argumente getauscht werden, zeigt der Kanzlerin, dass beide es bereits gewusst haben. Sie verbirgt ihr Einsamkeitsgefühl, und bevor sie etwas sagen kann, positioniert sich der Regierungssprecher mit einiger Naivität:
    »Also, ich finde die Idee der Bayern großartig. Medial ist Beckenbauer ein Brecher. Ein unzerstörbarer Mythos. Ein Selbstläufer.«
    »Lieber Herr Kollege«, bremst der Kanzleramtschef ihn im Gestus des Altväterlichen aus, »Beckenbauer hat keine politische Erfahrung, die linken Leitartikler werden ihn an diesem Schwachpunkt zerfetzen.«
    Der Regierungssprecher ahnt langsam, dass er sich auf vermintes Terrain eines Machtspiels vorwagt, und erwidert nur mehr im Ton eines vorsichtigen Handwerkers:
    »Wir sollten jedenfalls nichts Unentschiedenes absondern.«
    Das Wort »absondern« kommt in der Runde so gut an wie der Kaiser zuvor. Unwillkürlich lächelt der Generalsekretär zum Regierungssprecher hinüber und sucht die Bande der Verlierer. Er findet sie aber nicht. Dafür legt der Fraktionschef noch einmal nach:
    »Wir kündigen eine Kandidatenpräsentation hier in Berlin an. Beckenbauer war schließlich mehr als nur ein Bayer! Er war ein nationales Idol. Warum nicht eine Show im geflaggten Olympiastadion?«
    Behutsam legt der Kanzleramtschef seine schwere Hand auf den Aktenstapel, atmet tief ein und findet mit tiefer Stimme genau den richtigen Ton schleichender Ironie:
    »Sicher, und die Bundeskanzlerin läuft ab sofort mit Kapitänsbinde auf.«
    Doch der Fraktionschef ist nicht der Generalsekretär, schließlich wird er auch von der Büroleiterin gefürchtet, und jeder in Berlin weiß, was das machtpolitisch wirklich heißt. Also erwidert er:
    »Herr Kollege, Sie scheinen mir die politische Bedeutung dieses Vorgangs zu unterschätzen! Die Kandidatur des Kaisers«, und nun setzt er alles auf eine rhetorische Karte, »wird die Gefühlslage des Volkes tief prägen. Wir sollten als Gestaltungsmacht dabei sein. Weder die Bayern noch die Sozis sollten uns den Kaiser stehlen.«
    Das war nun selbst der Büroleiterin zu viel:
    »Meine Herren, was sind also die sachlichen Vorschläge für den Tag?«, fragt sie, als sei sie die Kanzlerin. Aber niemand im Raum LE 7.101 wundert sich darüber.
    »Wir dürfen den Bayern den Tag nicht lassen, sonst stehen wir als Getriebene da. Was, bitte schön, machen wir?«
    Die gefalteten Hände des Generalsekretärs heben sich eine Winzigkeit, und er antwortet, weil jemand wie eine Lehrerin gefragt hat, eilfertig:
    »Wir ducken
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