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Heimspiel

Heimspiel

Titel: Heimspiel
Autoren: Wolfram Weimer
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Torwache erfunden! Am Siegestor in der Münchner Leopoldstraße. Da stehen sie montagabends mit Franz-Fackeln und spielen das Gefühlskino. Ganz München ist geflaggt. Am Sonntag gibt’s eine stundenlange Liveübertragung – die planen eine Krönungsmesse im Olympiastadion. Wir müssen endlich ran!«
    Die Kanzlerin hört ihn nachdenklich an, obwohl sie ihn verachtet. Denn wo er recht hat, da hat er recht.
    »Was sind unsere Optionen?«
    »Ich habe einen Fünfpunkteplan.«
    »Ach?«, gibt die Kanzlerin überrascht zurück. Das hätte sie ihm nicht zugetraut. Normalerweise arbeitet er ihr hinterher. »Na, denn lassen Se ma hör’n«, gibt sie berlinernd zurück, was sie immer dann macht, wenn ihr Galgenhumor angebracht scheint.
    »Darf ich dazu meine neue Abteilungsleiterin für strategische Kommunikation reinholen? Sie wird Ihnen gefallen.«
    »Strategische Kommunikation? So was können wir inzwischen?« Sagt es, lacht dabei und fordert ihn auf: »Dann holen Sie die Strategin doch mal rein.«
    Der Generalsekretär eilt hinaus und kommt mit einer Frau zurück, die ihn auf Anhieb in den Schatten stellt. Schon bei der Begrüßung tackern ihr die Worte aus dem Mund, als habe sie das Schicksal selbst gestanzt. Sie ist eine strenge Frau, doch fragt sich die Kanzlerin: Warum nur? Sie ist auch eine Dame von gewisser Eleganz. Nicht von der manierierten Sorte. Ihre Eleganz ist ledern. Sie geht, nein, sie schreitet hinein ins Kanzlerinnenbüro, als unterstünden ihr 20 000 Dragoner. Ihre Stimme ist rau, ihre dunklen Augen – unterhalb der gleichfarbigen, in die Haare gesteckten Sonnenbrille – fixieren schnell, ihr Wille auch. Sie fordert, wenn sie spricht. Und wenn sie nicht spricht, fordert sie auch. Ihr gehören einige Immobilien in Norddeutschland. Die hat sie nicht ererbt und nicht erarbeitet. Sie sind das Strandgut ihrer Scheidung. Und diese Scheidung ist der Grund, warum sie ihre Sonnenbrille immer ein wenig zu lange aufbehält. Damit man die Verletzung ihrer Seele nicht sieht. Denn ihr Mann, dieser Kerl, hat sie jahrelang betrogen, einmal sogar in ihrem eigenen Schlafzimmer, während sie unten noch die Partygäste unterhielt. Heute vermietet sie das Haus und auch die anderen, die ihr Mann ihr gelassen hat.
    Im Sommer fährt sie immer nach Sylt, dann sei es in Berlin einfach zu heiß. Dann glüht die Mark, dann sind die Hauptstadtstraßen leer, dann dörrt das Weideland der Uckermark, und die Kühe liegen unter Bäumen. Dann kann man nur abends, spätabends, etwas riechen, auf den Plätzen und in den Straßencafés. Den Duft anderer Damen nämlich. Junger Damen vor allem. Davor flüchtet sie. Weit nach Norden. Ansonsten macht sie Karriere in Berlin, hier passt sie hin.
    »Na, dann schießen Sie mal los mit Ihren fünf Ideen«, leitet die Kanzlerin ein.
    »Erstens: Sie halten die zentrale Präsentationsrede im Olympiastadion, das Fernsehen erwartet eine Mördereinschaltquote« – da unterbricht die Kanzlerin sie, nicht nur wegen der schrägen Wortwahl:
    »Das will doch der bayerische Ministerpräsident schon machen.«
    »Nur wenn wir ihm das durchgehen lassen«, entgegnet sie ihr mit entwaffnendem Selbstbewusstsein.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Wir machen einen Deal. Er lässt uns die Beckenbauer-Show, dafür darf er beim Papstbesuch in Deutschland die Begrüßung übernehmen. Da kommt sein Trachtenjankerl auch viel besser zur Geltung.«
    »Gute Idee, Punkt eins machen wir so.«
    Die beiden haben sich gefunden.
    »Zweitens: Sie sollten eine deutsche hall of fame vorschlagen, eine Walhalla für unsere Helden, in die beiläufig auch Beckenbauer aufgenommen wird.«
    »Passt nicht zu mir. Wir folgen doch der Imagelinie: protestantisch, sachlich, bescheiden. Das wäre unglaubwürdig.«
    »Wenigstens ein Beckenbauer-Monument auf dem Viktualienmarkt, Eröffnung kurz vor der Wahl?«
    »Lächerlich!«, zischt der Generalsekretär und hat Sorge, dass seine neue Strategin ihn vor der Kanzlerin blamiert.
    Doch die nimmt ihr den Fehlgriff nicht übel und fragt freundlich:
    »Was ist Ihr dritter Vorschlag?«
    »Eine Wanderung zu zweit auf einen bayerischen Gipfel. Bild und RTL wären dabei, Ihre Hoffotografin natürlich auch. Das Gipfelkreuz leuchtet, Sie schauen naturverbunden und heimatliebend, die Bunte bekäme das große Freundschaftsinterview.«
    »Zu durchschaubar, das funktioniert nicht.«
    »So was funktioniert bei der Sozialministerin doch auch, obwohl es alle durchschauen.«
    »Ja, aber die ist adlig, und außerdem kann
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