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Heimkehr

Heimkehr

Titel: Heimkehr
Autoren: Richard Bach
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nicht, an welchem Ende ein Schwert gehalten werden muß. Ich bin unterlegen, und der Dümmste jener verruchten Armee kann mich in Stücke hauen… ein Kinderspiel: Haut den kleinen Rebellen in Stücke, bevor er sehen lernt.
    Diese Welt ist hart und unerbittlich, sie tut gar zu weh. Ich blute, und die Haut hängt in Fetzen, und Mom weiß nicht einmal, daß ich um mein Leben kämpfe.
    »Es ist alles in Ordnung, mein Kleiner, weine nicht. Alles ist in Ordnung…«
    Mom! Ich schrie wortlos. Hilf mir!
    Nicht jedes Zwiegespräch besteht aus Worten, und manchmal sagen Mütter mehr, als sie wissen, wenn Kinder weinen.
    Sie streichelte meinen Kopf. »Mein Kleiner. Die Drachen sind in der Überzahl, und sie lügen. Du kannst wählen. Es gibt zwei Möglichkeiten. Erstens: Zwinge sie, Farbe zu bekennen, höre nicht auf ihre Vorschriften, mein Baby. Schließe die Augen, laß der Phantasie freien Lauf, erinnere dich, wer du bist, über den Raum, über die Zeit hinweg, du wurdest niemals geboren und stirbst niemals… «
    Ich entspannte mich, ich war erleichtert.
    »… und die physikalische Welt wird beim Sieg die Faust erheben – Siehe da! Tot! Alle werden schwören, daß dein kleiner Körper nicht mehr atmet und dein Puls nicht mehr zu fühlen ist, eine Schriftrolle wird unterschrieben, in der dein Sieg Tod genannt wird.«
    Sie hob mich hoch. »Die andere Möglichkeit ist Siegen durch Verlieren. Ehe deine äußeren Schutzmauern fallen – da sie fallen müssen, wenn du am Leben bleiben willst –, schaffe dir einen inneren Bereich, in dem deine Wahrheit geschützt ist. Schütze dein unendliches Leben dadurch, daß du dir eine geeignete Spielstätte auswählst; sorge dafür, daß die Welt, die du kennst, für dich akzeptabel ist und deinen Erwartungen entspricht; deine Mission besteht darin, in den dramatischsten Augenblicken, die von deiner Entscheidung abhängen werden, in deiner spielerischen Art Liebe zu spenden. Die Drachen sind deine Freunde!«
    Ich hörte meiner Mutter zu und merkte mir, was sie sagte. Ihre Rettungsleine verband mich sowohl mit dem Sonnenlicht, aus dem ich kam, als auch mit diesem Ort des sich verdunkelnden Glases und der Angriffe vor Anbruch des Tages.
    Sie sah mir in die Augen, die immer größer wurden, als ich sie erstaunt anblickte. »Hast du die Wahrheit erfaßt?« fragte sie. »Gieße nun einen kristallenen Schild, stärker als Raum und Zeit, um den Mittelpunkt deines Seins, einen Schild, der durch nichts zerbrochen werden kann…«
    Aber Mutter… Ich zwinkerte, lauschte… vergeblich. Selbst du bist Raum und Zeit. Du bist hier und nicht dort. Du bist jetzt bei mir, und eines Tages wirst du sterben…
    »Das stimmt«, murmelte sie. »Höre auf deine Drachen. Ich bin ebenso wie du in der Raumzeit gefangen. Ich werde sterben, und deine Brüder und dein Vater werden dich auch für immer verlassen. Und du wirst allein sein. Mach dir keine Sorgen. Strecke deine Waffen. Laß deine Mauern einstürzen, die Steine zu Sand werden. Laß die Welt durch dich hindurch und über dich hinweg fließen, lerne ihre Lügen, schwimme in ihnen, leiste keinen Widerstand. Und insgeheim erinnere dich an das, was du sicher weggeschlossen hast, und eines Tages, in zwanzig Jahren, mein Kleiner, oder in sechzig Jahren, besinne dich auf deine Wahrheit und lache…«
    Ich vertraute ihr, und wenige Tage nach meiner Geburt kapitulierte ich vor den Drachen und sah zu, wie Flutwellen so hoch wie ein blauer Berg meine Mauern umtosten: keine andere Wahl, keine Fragen, das Leben ist miserabel, kurz, unfair, es ist kein Sinn erkennbar, wir sind keine jungen Adler, die sich kühn in die Lüfte erheben, sondern Lemminge, die sich blindlings über die Klippen stürzen. Willkommen auf der blöden Erde.
    »Hey, wow!« rief ich. »Es ist toll, hier zu sein!«
     
    *
     
    Das klingt schon besser. Meine Drachen schnauften, als sie es sich ganz in meiner Nähe bequem machten. Das Leben ist viel leichter, wenn du dich nicht widersetzt. Du sollst nicht zurückdenken, du mußt unendlich viel lernen…
    Du willst uns nicht sehen – öffne deine Augen, jetzt.
    Dein Körper ist so entspannt — spanne ihn an, jetzt.
    Deine Gedanken schweifen in die Ferne — konzentriere dich, jetzt.
    Du fühlst dich innerlich so sicher — laß deine Seele los, jetzt.
    Sie redeten pausenlos auf mich ein.
    Du träumst einen tiefen, gesunden Tagtraum. Jedes unserer Worte läßt dich tiefer und immer tiefer in den lauten, ruhelosen Tagtraum versinken. Wundere dich
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