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Heimkehr

Heimkehr

Titel: Heimkehr
Autoren: Richard Bach
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gehofft hatten, in all den Jahren zu finden. Und Sie wissen es immer noch nicht?«
    Ärger stieg in mir hoch. Die Frau war nicht an mir vorbeigegangen, sondern sie las einfach meine Gedanken.
    »Entschuldigung?« Ich sagte es so frostig wie möglich.
    Sie hatte dunkles Haar mit einem kühnen Streifen von Blond, war ungefähr zwanzig Jahre älter als ich, einfach und nicht besonders gut gekleidet, und sie wußte nicht, was ich mit Menschen zu tun pflege, die meine Muße stören.
    »Sie haben Ihnen das gegeben, was Sie lernen wollten«, sagte sie dann zu mir. »Ihr Leben ändert sich in dieser Nacht. Können Sie das nicht spüren?«
    Sprach sie mit mir? Ich blickte mich um, sah zurück, aber ich konnte niemand sonst entdecken. Sie hatte die falsche Person erwischt, das erkannte ich jetzt. Sie stammte nicht aus dem Philosophie-Kurs, sie war ein Mensch, den ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte.
    »Ich glaube, wir sind uns noch nicht begegnet«, sagte ich ruhig zu ihr.
    Sie wurde nicht unfreundlich, sie lachte nur. »Wir sind uns noch nicht begegnet.« Sie bewegte ihre Hand vor meinen Augen hin und her. »Sie haben Ihnen gesagt, daß sie die Antworten auch nicht kennen. Verstehen Sie das nicht? Niemand weiß die Antworten, außer einem!«
    Du lieber Himmel, dachte ich, jetzt erzählt sie mir gleich, daß Jesus Christus mein Erlöser sei und daß sie mich im Blut des Lamm Gottes reinwaschen werde. Muß ich ihr ein paar Bibelzitate an den Kopf schleudern, um sie wegzuscheuchen?
    Ich seufzte auf. »Als Jesus sagte, ›Niemand kommt zum Vater, denn durch mich‹, meinte er mit ›mich‹ nicht den ehemaligen Zimmermannsgesellen, sondern ›mich‹ – der auf der Suche ist nach dem Geist in…«
    »Richard«, sagte sie ruhig. »Bitte nicht!«
    Ich hielt inne und blickte sie an. Ihr Lächeln war ungeschmälert, ihr Augen funkelten wie Sterne: Sie war viel hübscher, als ich gedacht hatte. Warum war mir das nicht gleich aufgefallen? Hatte meine Verärgerung sie vielleicht vorhin farblos gemacht? Während ich sie aufmerksam betrachtete, mußte sich die Straßenbeleuchtung geändert haben: Sie war nicht nur hübsch, sie war einfach schön.
    Sie wartete geduldig, bis ihr meine volle Aufmerksamkeit gewiß war. Hatte sie sich vielleicht selbst geändert, überlegte ich mir, und war es gar nicht das Straßenlicht? Was ging hier eigentlich vor?
    »Jesus hat nicht die Wahrheit, nach der du strebst«, sagte sie dann. Während ich überlegte, ob ich sie auch duzen sollte, sprach sie weiter. »Der Philosoph Laotse hat sie nicht und auch nicht der Schriftsteller Henry James. Was du heute nacht entdecken könntest, wenn du deine Augen wirklich öffnetest, um in mehr als nur in ein hübsches Gesicht zu blicken, ist… Was denn wohl?«
    Sie sah mich an und wartete geduldig.
    »Ich kenne dich, nicht wahr?« fragte ich sie dann.
    Zum ersten Mal an diesem Abend runzelte sie unwillig die Stirn. »Du hast wirklich recht«, erwiderte sie. »Du kennst mich tatsächlich.«
     
    *
     
    Solange ich mich erinnern kann, ist es so gewesen. Jemand folgt mir, stößt mit mir zusammen, wenn ich um die Ecke biege, oder erscheint in der U-Bahn oder im Cockpit des Flugzeugs, um mich in irgendeiner Weise über irgendwelche fremden Dinge zu belehren.
    Zuallererst habe ich geglaubt, diese Menschen wären irgendwelche Phantome, Gebilde meiner eigenen Phantasie —, und anfangs waren sie das auch. Doch bald mußte ich zu meiner Überraschung erleben, daß diese belehrenden Seelen sich plötzlich in dreidimensionale Sterbliche verwandelten, so wie ich einer war. Und sie waren genauso erschrocken, mich in ihren Abenteuern vorzufinden, wie ich darüber erschrocken war, sie unerwartet in meinem Leben auftauchen zu sehen.
    Nach einer Weile konnte ich allerdings nicht mehr sagen, ob die Person, die über mich und meine Lektionen wachte, sterblich war oder nicht. Heute vermute ich einfach, daß es wirkliche Menschen sind — bis sie dann mitten im Satz verschwinden oder mich in andere Welten hinwegheben, um mir eine subtile Frage der Metaphysik zu veranschaulichen.

1
     
    Letzten Endes ist es natürlich völlig egal, wer oder was sie sind. Manche Menschen sind einfach Engel, ohne die Höflichkeit zu haben, sich als solche vorzustellen. Andere habe ich jahrelang gekannt, bevor ich ihre weichen Federn bemerkte. Und wiederum andere, von denen ich geglaubt hatte, sie wären lebende Evangelien, haben sich als schlechte Propheten erwiesen.
    Dieses Buch beschreibt die
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