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Heimkehr

Heimkehr

Titel: Heimkehr
Autoren: Richard Bach
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Geschichte einer dieser zahlreichen Begegnungen in den Raffinerien meiner Gedankenwelt. Und es erzählt, was ich daraus gelernt habe und wie dieses Wissen mein Leben verändert hat.
    Stimmen meine Lehren mit Ihren Erfahrungen überein? Bin ich ein feuerversengter Kumpel von der Rennbahn, auf der auch Sie fahren? Oder bin ich ein sonderbarer Fremder, der einsam murmelnd durch die Straßen irrt? Manche der Antworten werde ich niemals finden.
    Jetzt müssen wir uns aber beeilen, sonst kommen wir zu spät zum ersten Kapitel.
    Ich stand auf dem Gipfel des Berges und beobachtete den Wind. Er streifte fern am Horizont sanft den See und wehte milde in meine Richtung. Zweitausend Fuß unter mir kippte er ein paar Rauchsäulen um, die aus den Kaminen aufstiegen, und er bewegte die smaragdgrünen Blätter an den Bäumen des Vorgebirges. Zierliche Windfahnen am Rande der Felswand flatterten im Rhythmus der vorbeistreichenden Aufwinde – zwei Minuten lang etwas träge, eine halbe Minute lang etwas lebhafter.
    Es ist besser, wenn ich beim Absprung von der Felskante etwas Wind bekomme, entschied ich. Lieber noch eine Zeitlang auf einen Windstoß warten.
    »Testest du heute oder ich?«
    Ich drehte mich um und lächelte Ceejay Sturtevant an. Sie war zierlich, ging mir nur bis zu den Schultern. Ceejay hatte die Gurte ihres Paragleiters bereits am Körper festgezurrt, die Stiefel zugeschnürt und den Helm aufgeschnallt. Ein kleiner ramponierter Teddybär blickte als Maskottchen aus einer Tasche ihres Flugoveralls. Der Schirm, der geordnet neben ihr auf dem Boden lag, war ein Meer von Nylonfarben.
    »Ich warte auf etwas mehr Wind«, sagte ich zu ihr. »Du kannst zuerst fliegen, wenn du möchtest.«
    »Vielen Dank, Richard«, sagte sie mit einem Lächeln. »Ist sonst alles klar?«
    Ich ging ein wenig beiseite. »Alles klar.« Sie wartete einen Moment und blickte prüfend zum Horizont. Dann rannte sie auf den steilen Abhang zu, und für einen Sekundenbruchteil schien es reiner Selbstmord zu sein, weil ihr Körper auf die Felswand zuraste. Und nur einen Augenaufschlag später entfaltete sich der Gleitschirm von einem toten Gewebe zu einem Wirbelwind aus grellem Gelb und neonfarbenem Pink. Eine gewebte Wolke schwebte über ihrem Kopf wie ein gewaltiger chinesischer Drache, der plötzlich aufgetaucht war, um sie vor dem tödlichen Fall zu retten.
    Schon hatten ihre Füße den Abgrund erreicht, und sie rannte nicht mehr, sondern flog in der Luft und pendelte sich aus wie eine Katze im freien Fall — aber Ceejay hatte ihre Gurte, die sie an dem riesigen Flügel festhielten.
    Ihr Mann beobachtete sie, als er sich in die Gurte seines Paragleiters hineinschnallte, und er rief begeistert: »Pack es an, Ceejay! Such uns den Aufwind!«
    Der erste Flieger, der vom Berg weggleitet, erprobt die Windverhältnisse, die anderen beobachten seinen Flug, beten um aufsteigende Luftströmungen dicht bei den Hängen und einen Tag mit langen, erhebenden Flügen. Verfehlen die Gebete ihre Wirkung und bleibt die Luft ruhig, gleitet man langsam ins Tal und wandert wieder zum Gipfel empor. Oder man findet einen gutmütigen Autofahrer, der die Bergstraße nach oben chauffiert.
    Der helle Schirm drehte sich und begann sich im Aufwind zu erheben. Der Jubel von uns sechs, die Ceejay beobachteten und ebenso fliegen wollten, brandete auf. Dann sank sie wieder Richtung Tal und glitt langsam davon. Ein Stöhnen und Aufatmen der Zuschauer. Vom Wetter her waren die Möglichkeiten vorhanden, auch wenn nur die geschicktesten unter uns es schaffen würden, noch eine halbe Stunde nach dem Start in der Luft zu verweilen.
    Ich beobachtete Ceejay eine Zeitlang beim Fliegen. Dann erkannte ich eine Thermik, die sich auf den Berg zu
    bewegte: Die Blätter schaukelten ein wenig, und danach kamen die Zweige in Bewegung, die Windwipfel wurden immer munterer im Aufwind. Es war Zeit zu fliegen.
    Ich drehte meinen Rücken in den Wind, zog hart an den Gurten der Aufhängung, und dann schwang sich mein Gleitsegel vom Grab der Erde hinweg in ein luftiges Rauschen und prasselndes Flattern wie der Spinnaker eines Segelbootes, der sich in das Blau des Himmels hinein aufbläht.
    Es war, als ob ich meine eigene Schäfchenwolke nach oben gezogen hätte, einen seidenweichen Regenbogen von Schirmende zu Schirmende, an denen zitronengelbe Wimpel flatterten, und die Luft pulsierte um mich herum, als ich durch die Brise glitt: keine Federn und kein Wachs — diese Flügel hätten Ikarus vor dem Fall
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