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Heimkehr

Heimkehr

Titel: Heimkehr
Autoren: Richard Bach
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hieß Cammie«, sagte er lächelnd. »Und das Zebra hast du Zeebie genannt.«
    »Wie war der erste Motor beschaffen, den ich gebaut habe?« Jetzt wurde es schon schwieriger für ihn.
    Er antwortete ohne zu zögern. »Es war ein Achtzehn-Zoll-Strahltriebwerk. Vier Zoll im Durchmesser mit verlöteten Nähten und am Ende mit einem fünf Fuß großen Gegengewicht montiert. Dir war klar, daß die Hitze das Lötmittel wegschmelzen und der Motor in ein oder zwei Minuten auseinanderfliegen würde. Deshalb hattest du eine Idee: Alkohol statt Benzin. Aber es flog auseinander, und das Feuer breitete sich auf dem Hinterhof aus…«
    Er sprach die ganze Zeit, während er fuhr. Er beschrieb meine Raketen, mein Haus, meine Freunde, meine Familie und den Hund: Einzelheiten aus meinem Leben, an die ich mich kaum noch erinnern konnte, als er sie erwähnte.
    Die Charaktere in meinen Büchern sind ganz bestimmt echt. Aber einige von ihnen sind wie Elementarteilchen: Es gibt eine Dimension, in der sie existieren, jedes von ihnen lebendig in seiner eigenen Welt, so wie wir auch in unserer Welt leben. In Büchern dringen sie in meine Atmosphäre ein und verändern sie.
    Shepherd war entweder einer von diesen Charakteren, oder er war der größte Irre auf dieser Welt.
    »… der Oleanderstrauch steht an der Ecke der Mauer. Vom Kamin hängt ein Mobile herunter, das du aus Blattkupfer und verschweißten Stangen gebaut hast. Es sind gekrümmte Ellipsen, du nennst es ›Radar‹. In der Garage befinden sich Packen mit Holzkohle und Gemälde, die deine Mutter im Kunstunterricht angefertigt hat. Der Holzverschlag, den du als geheimen Eingang zu eurem Haus benutzt…«
    Ich unterbrach ihn. »Eine Frage, bitte.«
    Er hörte sofort mit seinem Bericht auf, und wir fuhren schweigend weiter. Riesige Bäume spendeten in der Mittagssonne wohltuend ihren Schatten über dem Wagen, der sich im ersten Gang die steilen Kurven der Straße hinaufquälte.
    »Du erzählst von meiner Kindheit, als ob es die Gegenwart und nicht die Vergangenheit sei«, sagte ich verwundert. »Für dich scheint diese Zeit immer noch zu existieren. Das Ich, von dem du sprichst, das das Mobile gebaut hat, heißt aber Dickie. Das war ich, in meiner Vergangenheit.«
    Er nickte mir zu. »Selbstverständlich. Diese Zeit liegt jetzt hinter dir.«
    »Noch eine andere Frage«, sagte ich zu ihm.
    Er antwortete sofort, ohne einen Moment zu zögern. »Du kannst fragen, was du möchtest.«
    »Was ist die dritte Potenz von hunderteinunddreißig?«
    Er lachte. »Ich bin ein Engel und kein Computer.«
    »Ich habe nichts anderes behauptet. Dann schätze.«
    Er blickte mich einen Moment nachdenklich an. »Fünfhundertsiebenundzwanzig?«
    Völlig daneben, das hätte ein Schulkind besser gewußt. Der Typ ist nicht allwissend, das hätte ich mir doch denken können. Vielleicht ist Mathematik auch nicht seine Stärke. Mal sehen, was er sonst noch alles nicht weiß.
    »Gibt es im Himmelreich eine Schwerkraft?« fragte ich naiv.
    Er blickte mich überrascht an. »Seit wann denkst du über dieses Problem nach?«
    »Seit ungefähr einem Jahr.« Ich zeigte auf die Straße. »Paß auf den großen Felsen dort auf.«
    Die Warnung kam zu spät. Er hatte den Felsblock nicht gesehen und ihn mit dem Wagen gestreift. Das lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße. Der Kratzer im Blech schien ihn nicht zu berühren, er fuhr einfach weiter. »Hast du noch weitere Fragen?« wollte er von mir wissen.
    Ich ließ das Thema mit der Schwerkraft sausen. Mehr als der Himmel interessierte mich im Moment, wer die fremde Person neben mir war.
    »Warum bist du… warum bist du so, wie du bist?« fragte ich ein wenig verunsichert.
    »Es gibt einen schönen Spruch: ›Eine Ausschweifung des Herzens ist ein Mangel an Geist.‹« Die Art und Weise, wie er dieses Sprichwort zitierte, machte es zu einer traurigen Wahrheit.
    Mir war klar, daß er mich nicht kränken wollte. Und ich wußte genausogut wie er, daß er mich nicht gesucht und gefunden hatte, um mit mir eine Fahrt zum Gipfel des Berges zu unternehmen. Jetzt wußte ich auch noch, daß er kein Meister in Mathematik war. Aber das interessierte mich jetzt nicht so sehr. Alle möglichen Fragen schwirrten mir durch den Kopf.
    »Und du hast mir das alles erzählt, weil es damit zu tun hat, weshalb du hier bist«, sagte ich zu ihm. Er nickte mir kurz zu und lächelte. »So ist es.« Habe ich ihn von Anfang an gemocht, weil mir sein Lächeln bekannt vorgekommen
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