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Heimkehr

Heimkehr

Titel: Heimkehr
Autoren: Richard Bach
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kleinen Wippe wunderbar aus, und es wäre dir überhaupt nicht recht, wenn ich mein ganzes Gewicht auf deine Seite verlagern würde.«
    »Vernunft hin, Vernunft her«, sagte sie. »Ich habe beschlossen, dich zu behalten.«
    »Vielen Dank, Liebling.«Ich rückte näher an sie heran, schaltete meine Nachttischlampe aus, schob meinen Arm unter ihr Kissen und schloß meine Augen, um zu schlafen. »Es wäre so kalt ohne dich.«
    »Du hast gelernt, nicht wahr?« sagte sie.
    »Nein, Liebling«, murmelte ich. »Dieses eine Mal in meinem Leben bin ich der Lehrer gewesen, nicht der Schüler.«
    »Hm.«
    Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem Buch zu und las, bis ich eingeschlafen war.
    »Das nächste Mal, wenn du Dickie siehst, sag ihm bitte, daß ich ihn auch liebe.«

40
     
    In jener Nacht, um drei Uhr morgens, wurde ich plötzlich wach. Mit weitgeöffneten Augen starrte ich ins Dunkel, es war eine um Monate verzögerte Reaktion. Dickie erinnert sich an die Kindheit, die ich vergessen habe! Er kann sich an sie von der ersten Minute an erinnern!
    Wir hatten uns an zwei verschiedenen Enden eines Lebens befunden und einen Mittelpunkt erreicht, den jeder von uns allein nicht hätte finden können. In den Stunden, die wir miteinander verbracht haben, brauchte ich ihn nur zu fragen! Er hat trotzdem noch ein Abenteuer für sich behalten, den Schlüssel zu allem, woran ich mittlerweile glaube, die Szene, die ich brauche, um mich als Erwachsener an eine bestimmte Zeit zu erinnern.
    Er konnte nicht fort sein!
    Ich kniff die Augen zusammen, zwang mich, mich zu entspannen, und rief mir sein klares, strahlendes Gesicht ins Gedächtnis zurück.
    Einen Augenblick später stand ich an einem Berghang, wo der Wald in Wiese überging, eine spiralförmige Galaxie aus lauter winzig kleinen silbrigen Blumen, die um mich herum leuchteten. Auf der einen Seite lag weit unter mir ein dunkler Ozean, zu dem sich ein glitzernder Fluß hinschlängelte. Auf der anderen Seite erstreckte sich, soweit mein Auge reichte, eine weite Ebene, in der Ferne von urtümlichen Bergen und Tälern begrenzt. Das Land war still und menschenleer, ein zweites Eden.
    Vom Berggipfel aus, den ich kannte, sah es anders aus, doch kam es mir unglaublich vertraut vor. Wo hatte ich diesen Ort schon einmal gesehen? Er mußte in der Nähe sein.
    Ich fand ihn, wie er auf einem Felsen thronte, derselbe Junge, unverändert. Er ließ gerade ein Segelflugzeug fliegen. Es sah so aus, als ob er es in den Himmel schweben ließ, mit einem winzigen Piloten an Bord. Über dem Grün nahm es Schräglage ein, fand den Aufwind am Rande des Abhangs, beschrieb eine enge Kurve, als es in die aufsteigende Luft hineinflog, und stieg in die Höhe.
    Was ich sah, war erstaunlich. Wie brachte er das fertig? Ich brauchte nicht lange zu warten.
    »Du erinnerst dich an meine Kindheit!« sagte ich, ohne ihn mit Hallo zu begrüßen. »An die ganze! Erinnerst du dich nicht?«
    »Natürlich tu ich das«, erwiderte er. »Nur weil du sie verdrängt hast, bedeutet das nicht, daß sie für immer verloren ist.«
    »Du erinnerst dich daran, wie du geboren wurdest!«
    Die ganze Zeit hat er die Antwort gewußt, dachte ich. Dickie weiß, wie sich unsere heitere Seele verändert, wenn wir, die wir unbekümmert gelebt haben, uns in einen Säugling verwandeln, der um all das nie gebeten hat und im Dunkeln schreit. Es war das Bindeglied, das ich nie gefunden hatte und das ich mir nicht vorstellen konnte.
    »Ich brauche diese Erinnerung«, sagte ich.
    Er tat erstaunt. »Ich dachte, du würdest nie danach fragen.«
    Er kramte in seiner Hemdtasche herum und holte ein kleines Gebilde aus kristallklarem, fast farblosem Bernstein hervor, das nicht größer als ein Zitronenbonbon war.
    »Es ist für die Ewigkeit gemacht«, sagte er. »Es kann durch nichts geöffnet werden, nur durch deinen Wunsch, zu erfahren, was du wissen möchtest.« Er hielt es mir entgegen. »Vorsicht, es wird zerbrechen, wenn du es berührst. Bist du sicher, daß du es möchtest?«
    Ich nahm es aus seiner Hand. Es war leichter als eine Eierschale, das kleine Gebilde. Warum nicht? Ich sehnte mich nach diesem sanften, friedvollen Schweben meines ersten Tages auf der Erde, dessen Geheimnis in ein Rosenblatt gehüllt war.
    Kaum hatte ich mit der Fingerkuppe die zarte Oberfläche dieses Gebildes berührt, zerbrach es in meiner Hand, in der Stunde vor meinem Geburtstag.

41
     
    Damals, so erinnerte ich mich, war es eine großartige Idee. Ein Abenteuer! Ein
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