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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter
Autoren: Heinrich Böl
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Bett, sondern nahm morgens zwischen fünf und sechs ein Bad: rauschendes Wasser, Geplatsche nebenan Ȭ er schlief noch einmal ein und war todmüde, wenn Albert ihn dann weckte. Verdö Ȭ
    ster Vormittag in der Schule, und nachmittags als Entgelt ins Kino und in den
    Eissalon oder zu Alberts Mutter hinaus: Bietenhahn, der Schlüssel zum Biegerwald. Der Weiher, in dem Glum mit der bloßen Hand Fische fing, die er wieder freigab, das Zimmer über dem Kuhstall oder stundenlang mit Albert und Brielach Fußball spielen auf dem harten, kurzgeschnittenen Rasen. Stundenlang, bis man müde war und Hunger hatte auf das Brot, das Alberts Mutter selbst buk, und Onkel Will, der immer sagte: »Tut euch doch mehr Butter drauf« Ȭ Kopfschütteln Ȭ , »mehr Butter drauf« Ȭ wieder Kopfschütteln Ȭ ,
    »noch mehr Butter.« Und dort draußen tat Brielach manchmal, was er selten tat: lachen.
    Es gab viele Stationen, zwischen denen er einschlafen konnte: Bietenhahn und der Vater, Blondi und unmoralisch. Das fluppende Surren des Ventilators war ein gutes Geräusch, weil es bedeutete: Die Mutter ist da. Umblättern der Buchseiten, der Atem der Mutter, das Anreißen des Zündholzes und das winzige, kurze Glucksen, wenn sie einen Schluck Wein aus dem Glas nahm Ȭ und der geheimnisvoll nachwirkende Sog, wenn der Ventilator längst ausgestellt war: Der Rauch, der sich zu dem Ventilator hinbewegte, und irgendwo schaltete das Bewußtsein aus zwischen Gäseler und »Wenn Du der Sünden willst gedenken.«

2
    Am schönsten war es in Bietenhahn, wo Alberts Mutter ein Ausflugslokal betrieb. Alberts Mutter buk alles selbst, auch das Brot. Sie tat es, weil sie es gern tat Ȭ und sie konnten in Bietenhahn tun, was ihnen Spaß machte: Er mit Brielach; sie konnten angeln gehen oder in das Brertal hinauswandern, konnten Kahn fahren oder stundenlang hinter dem Haus Fußball spielen. Der Weiher ging bis tief in den Wald hinein, und meistens begleitete sie Alberts Onkel Will, ein Bruder von Alberts Mutter. Will litt schon seit frühester Jugend Ȭ an einer Krankheit, die unter dem Namen
    »Nachtschweiß« lief, merkwürdige Bezeichnung, über die die Großmutter und Glum lachten; auch Bolda kicherte, wenn das Wort »Nachtschweiß« fiel. Will war bald sechzig Jahre alt, und als er zehn Jahre alt gewesen war, hatte seine Mutter ihn einmal schweißgebadet im Bett gefunden. Sie fand den
    auch an den nächsten Tagen schweißnaß, lief beunruhigt mit ihm zum Arzt, denn dunklen Überlieferungen zufolge war Nachtschweiß das sicherste Zeichen für Lungenkrankheit. Doch die Lunge des jungen Will war vollkommen gesund, nur war er Ȭ wie der Arzt sagte Ȭ ein bißchen schwach, ein bißchen nervös, und der Arzt Ȭ dieser Arzt, der schon vierzig Jahre auf einem Vorstadtfriedhof begraben lag, hatte vor fünfzig Jahren gesagt: Schonen Sie das Kind ein wenig.
    Diese Schonung genoß Will sein Leben lang. »Ein bißchen schwach, ein bißchen nervös« — und Nachtschweiß, das wurde für ihn zu einer Rente, die seine Familie ihm auszuzahlen hatte. Martin und Brielach gewöhnten sich eine Zeitlang daran, morgens ihre Stirnen zu betasten, sich auf dem Schulweg das Ergebnis mitzuteilen, und sie stellten fest, daß auch ihre Stirnen manchmal etwas feucht waren. Besonders Brielach schwitzte nachts häufig und heftig, aber Brielach war von der Stunde seiner Geburt an nicht einen Tag lang geschont worden. Seine Mutter hatte ihn geboren, während Bomben auf die Stadt fielen, in die Straße, zuletzt auf das Haus, in dessen Keller sie in den Wehen schrie. Sie lag auf einem schmutzigen Luftschutzbett, das von jener Stiefelschmiere verdreckt war, wie sie die Armee an ihre Soldaten ausgab. Sie hatte mit dem Kopf auf der Stelle gelegen, wo ein Soldat seine Stiefel hingelegt hatte: Der Trangeruch hatte sie mehr zum Erbrechen gereizt als ihr Zustand, und als ihr jemand ein benutztes Handtuch unter den Kopf legte, empfand sie den Geruch der Kriegsseife, diese Spur eines Ersatzaromas empfand sie als eine Erleichterung, die sie weinen machte: Die winzige Spur schmutziger Süße des Parfüms in diesem Handtuch erschien ihr als etwas ungemein Kostbares. Als die Wehen einsetzten, half man ihr: Sie erbrach sich über die Schuhe der Umstehenden, und die beste und kaltblütigste Helferin war ein vierzehnjähriges Mädchen, das auf einem Spirituskocher Wasser zum Sieden brachte, eine Schere darin sterilisierte und die Nabelschnur durchschnitt. Sie machte es genauso, wie sie es in einem Buch
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