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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks
Autoren: Yvonne Winkler
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entdeckte, und machte sie auf einen Müllwagen aufmerksam. Julia antwortete nur einsilbig. Die Kita, eine Ganztageseinrichtung, lag direkt neben dem Schulgelände. Eine ganze Reihe von Miriams und Simons Klassenkameraden wurde hier betreut. Es wäre überhaupt kein Problem, ihre Kinder auch in die Obhut der Erzieher zu geben. Sie und Marco könnten sie abwechselnd hinbringen und abholen. Doch zuerst musste sie ihn überzeugen. Nie zuvor hatte er sich so vehement gegen ihre Überzeugungsversuche gewehrt. Nicht einmal letztes Jahr, als sie ihn endlich überredet hatte, nach Thailand zu fliegen, obwohl er seinen Urlaub doch lieber an der deutschen Ostseeküste verbrachte. Nach zwei Wochen Streitereien und hitzigen Diskussionen konnte sie nicht mehr ausschließen, dass nicht Überrumpelung und die Angst vor Veränderungen seinen Widerstand heraufbeschworen hatten, sondern dass er einfach stur, engstirnig und rückständig war. Auch wenn sie es bisher nicht wahrgenommen hatte. Seine Mutter war immer zu Hause gewesen und hatte sich um Heim und Herd gekümmert. Jetzt wollte er
ihr
diese Rolle aufbürden, anstatt dass sie sich ihren Traum erfüllen und Medizin studieren konnte.
    »Guten Morgen Jonas!« Die Stimme der Erzieherin riss Julia aus ihren Gedanken. Offenbar war sie mit ihm die Treppen ins zweite Stockwerk hochgestiegen, ohne es zu merken.
    Sie befreite ihn von Regenjacke und Gummistiefeln und zog ihm die Hausschuhe an. Stolz überreichte er der Erzieherin sein leeres Marmeladenglas, aus dem im Laufe der nächsten Tage ein Windlicht werden sollte.
    »Mama hat es nicht vergessen, Bianca!«, sagte er mit strahlendem Lächeln.
    Die junge Frau schmunzelte, und Julia wäre am liebsten vor Scham im Boden versunken.
Kindermund tut Wahrheit kund!
    Sie gab Jonas einen Kuss und verabschiedete sich. Der Dreijährige winkte noch am Fenster, doch sie sah, dass er sich dabei schon mit seinem Freund Leon unterhielt. Sein kleiner Mund stand nicht still. Wahrscheinlich schmiedeten die beiden bereits Pläne für die neue Eisenbahnstrecke, die sie an diesem Vormittag bauen wollten.
    Julia stieg in den Wagen und lehnte sich im Sitz zurück. Einen Augenblick genoss sie die Ruhe. Die kühle feuchte Luft hatte ihr gutgetan, der Kopfschmerz hatte sich etwas beruhigt, und ihre Wut auf Marco war verraucht. Vielleicht hatte er recht. Er war der Ansicht, dass ihre Ambitionen zu studieren nur ein Zeichen ihrer Überforderung und Ausdruck ihres Wunsches waren, dem häuslichen Umfeld, vor allem aber den Kindern zu entkommen. Wenn sie sich jetzt schon ausgelaugt fühlte, wie sollte das erst mit der Doppelbelastung Familie und Studium werden?
    Sie drehte den Zündschlüssel und legte den Rückwärtsgang ein. Seit sie ein kleines Mädchen war, hatte sie Ärztin werden wollen. Ihr Notendurchschnitt hatte nicht für den Numerus clausus gereicht, deshalb hatte sie die Ausbildung zur Krankenschwester begonnen. In dieser Zeit hatte sie Marco kennengelernt. Kurz nachdem sie ihr Schwesternexamen bestanden hatte, hatten sie geheiratet, fast zur selben Zeit hatte sie den ersehnten Studienplatz in Hamburg bekommen. Im zweiten Semester war sie schwanger geworden, und nach Miriams Geburt hatte sie das Studium abgebrochen. Simon und Jonas folgten in etwa dreijährigem Abstand. Während dieser Jahre hatte sie nichts vermisst. Ihr Haushalt war zwar nie so perfekt sauber und aufgeräumt wie bei den anderen Frauen in ihrer Familie, aber ihr waren andere Dinge einfach immer wichtiger gewesen. Mit den Kindern zu spielen zum Beispiel: ob Brett- oder Kartenspiele, Eisenbahn oder Kaufmannsladen. Geradezu legendär waren ihre Picknicks mit Keksen, Salzstangen, Obst und Apfelschorle in aus Kissen, Decken und Stühlen gebauten Höhlen, die wahlweise eine Polarstation, ein Vogelhäuschen oder ein Tipi darstellten. Für den Glanz in den Augen ihrer Kinder hatte sie gern die gerümpfte Nase ihrer Schwiegermutter angesichts des Chaos im Wohnzimmer in Kauf genommen. Und die Bemerkungen ihrer Mutter – »Kind, wo ist dein Bügeleisen, ich bügele dir schnell die Tischdecke. So kannst du sie doch nicht auf dem Tisch liegen lassen!« – überhört. Seit Jonas im Kindergarten war, wurden solche Spieletage allerdings seltener. Die Kinder wurden groß. Es war Zeit, sie etwas loszulassen. Damit vergrößerte sich auch ihr eigener Bewegungsradius. In ihren Augen grenzte es an Verschwendung, diese neu gewonnene Freiheit zu nutzen, um den ganzen Tag mit dem Putzlappen durch das Haus
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