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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks
Autoren: Yvonne Winkler
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das für Nasen, für Ohren und für Beine?«, schrie sie. »Das sind keine Kinder!«
    »Fürchte dich nicht«, lachte der listige Kobold. »Ich habe mein Wort gegeben, dass die Kinder leben werden. Und jetzt habe ich euch Ferkel geschenkt. Verjagt die Tränen. Der Häuptling braucht keine Kinder mehr zu fressen. Aus den kleinen Ferkeln werden fette Schweine werden. Bau ihnen einen Stall, Mann des Glücks, damit sie wachsen und sich vermehren können. Doch gib auch den Menschen von den anderen Inseln welche. Auch dort soll niemand mehr hungern und weinen.«
    Und der Mann des Glücks gehorchte. Er baute einen Zaun und setzte die Ferkel hinein. Sie wurden groß und fett und vermehrten sich schnell, der Hunger war besiegt. Kein einziges Kind musste mehr sterben.
    Und wieder machte das Wort die Runde: »Dieses Haus ist ein volles Haus, ein Haus des Glücks.«
    Und die Menschen dankten dem Mann des Glücks, dass er Schweine verschenkte. Dafür schenkten die Götter ihm und seiner Frau ein langes und glückliches Leben.
     
    Samoanisches Märchen

[home]
    Julia
    1
    November 2008
    D as Nieseln hatte nachgelassen, der trübe Himmel riss auf. Durch das Glas der Veranda fiel ein Streifen Sonnenlicht und ließ die Regentropfen an der Scheibe funkeln. Julia genoss den Ausblick. Vor ihr lagen die Dächer der Häuser vom Blankeneser Süllberg, dahinter sah sie grau schimmernd die Elbe. Ein großes schwarzes Schiff, auf dem sich die Container wie bunte Legosteine stapelten, schob sich langsam Richtung Elbmündung.
    Sie liebte den Dienstagvormittag, »Omatag« nannte sie ihn. Jeden Dienstag, wenn die Kinder in der Schule und im Kindergarten waren, verbrachte sie mindestens zwei Stunden bei ihrer Großmutter Charlotte. Nicht um zu putzen, einzukaufen oder die Wäsche zu waschen. »Das macht Frau Yilmaz«, sagte Oma Lotte, wenn Julia oder Cornelia, ihre Schwester, ihre Hilfe anboten. »Wenn meine Enkelinnen bei mir sind, möchte ich es gemütlich haben. Und ihr sollt euch darauf freuen, mich zu besuchen. Ich will nicht, dass ihr in eurer kostbaren Zeit hektisch mit dem Feudel durch das Haus fegt. Nein, ihr habt selbst Haushalt und Familie und damit genug um die Ohren, um auch noch den Staub der alten Oma zu wischen. Außerdem weiß Frau Yilmaz genau, wie ich es haben möchte. Sie hat bald dreißig Jahre Erfahrung mit meinen Eigenheiten.«
    So saßen sie jeden Dienstag beisammen, im Winter und bei »Schietwetter« auf der verglasten Veranda, im Sommer im winzigen Garten zwischen japanischen Azaleen, Kaiserkronen und Kamelien in Tontöpfen. Sie tranken Tee, aßen köstliche kleine Kuchen und Pralinen, die aus einer Konditorei in der Nachbarschaft stammten, sahen den Schiffen zu und redeten.
    Mit ihrer Großmutter konnte sich Julia meist besser unterhalten als mit ihrer Mutter. Hier fand sie Verständnis und Unterstützung, Anregungen, Ratschläge und, wo nötig, liebevollen Widerspruch. Der tägliche Blick auf Hamburgs Lebensader, das »Tor zur Welt«, und die Erinnerungen an ihr aufregendes Leben schienen der alten Dame ihren wachen und beinahe fortschrittlichen Geist zu bewahren. Ob es die Perlenkette aus Acapulco oder die ceylonesische Brokatstola war – Oma Lotte umwehte immer der Hauch der »großen weiten Welt«. Jahrelang hatte sie an der Seite von Opa Paul, einem Kapitän, mehrfach die Erde umrundet. Das kleine Haus auf dem Süllberg war voller Andenken an diese Reisen: afrikanische Holzschnitzereien, indische Möbel, chinesisches Porzellan, japanische Kalligraphien, marokkanische Teppiche, ein persischer Schachtisch. Die Welt harmonisch vereint auf 95  Quadratmetern.
    Julia lehnte sich in dem Rattansessel zurück. Ein Luftzug, der ungehindert durch eines der Fenster hereinwehte, jagte ihr einen Kälteschauer über die Arme. Die Wanduhr tickte, die Elektroheizung gab ein leises Klicken von sich, wenn sie ansprang oder sich abschaltete. In der Küche pfiff der Wasserkessel. Der kleine Teetisch war liebevoll und mit viel Geschmack gedeckt: zierliche, goldumrandete Tassen und Teller mit einem Vogelmotiv, hauchdünne Servietten in einem zu den Kranichen passenden Blauton, silberne Kuchengabeln mit Monogramm und eine Platte mit Gebäck und Pralinen.
    »Julia!« Die Stimme ihrer Großmutter rief sie in die gemütliche Küche, in der es immer nach exotischen Gewürzen und frisch aufgebrühtem Tee duftete. Als Kind hatte sie sich vorgestellt, dass so die Welt roch – dort draußen, jenseits von Hamburg, wenn man mit einem der
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