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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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überleben, Miriam. Und beim nächsten Mal stellen wir das Radio einfach ab. Ist das ein Vorschlag?«
    »Bist du genervt, Mama?« Ihrer aufmerksamen Tochter entging selten etwas.
    »Ich habe kaum geschlafen. Und ich habe Kopfschmerzen. Akzeptiert ihr den Kompromiss?«
    Simon grummelte, Miriam runzelte die Stirn, aber es gab keine Einwände mehr. Die Ruhe war wiederhergestellt. Vorerst. Der Frieden zwischen den beiden Geschwistern war überaus fragil. Wie zurzeit bei Marco und ihr.
Ob sie sich heute Abend wie sonst in die Arme schließen konnten?
Immerhin hatten sie gestern von Trennung gesprochen. Es war das erste Mal in ihrer Ehe, dass dieses Wort gefallen war. Bestimmt war es der Heftigkeit ihres Streits und den überschäumenden Emotionen geschuldet. Trotzdem hatte sie Angst, dass dies der Anfang vom Ende sein könnte. Zwölf Jahre. Im Januar würden sie Petersilienhochzeit feiern.
    Die Ampel sprang auf Grün. Julia warf einen kurzen Blick auf die Uhr, versuchte, sich auf die nächsten Minuten zu konzentrieren. Sie hatten noch genug Zeit. Hatte sie auch an alles gedacht? Irgendwie kam es ihr so vor, als hätte sie etwas vergessen. Das Geld für Simons Ausflug? Steckte in einem Briefumschlag in seinem Ranzen. Das leere Marmeladenglas zum Basteln für den Kindergarten? Befand sich in Jonas’ Rucksack. Die Pausenbrote? Waren liebevoll in drei Frischhaltedosen verpackt und mit Salatblättern, gehackten Nüssen und Gurkenscheiben garniert. Wenn sie morgens die Brote für ihre Kinder richtete, kam sie sich vor, als würde sie Schnittchen für eine Tagung im Hotel Atlantik zubereiten. Ihre eigene Mutter hatte schlichte Butterbrote geschmiert mit Wurst oder mit Käse; dazu hatte es einen Apfel oder eine Banane in der Plastiktüte gegeben. Das war es. Während sie selbst sich fast jeden Tag den Kopf zerbrach, womit sie diesmal ihre Sprösslinge, die Lehrer und Erzieher beeindrucken konnte. Gesund musste es sein, lecker schmecken und obendrein noch appetitlich aussehen – das Auge isst bekanntermaßen mit. Ob es früher einfacher gewesen war, Kinder großzuziehen und einen Haushalt zu führen? Ihre Mutter war, ebenso wie ihre Schwiegermutter, »nur« Hausfrau, obwohl sie nach ihrem Realschulabschluss eine Ausbildung zur Sekretärin gemacht hatte. Wie hatte sie ihre Vormittage verbracht, wenn sie und ihre Schwester Cornelia in der Schule gewesen waren? Hatte sie sich jemals gewünscht, wieder zu arbeiten? Sie hatte noch nie mit ihr darüber gesprochen.
    Julia steuerte den Parkplatz hinter dem Schulgebäude an, parkte den Wagen und stieg aus. Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt. Sie öffnete den Kofferraum, verteilte Rucksäcke und Ranzen auf die wartenden Kinder, zog mechanisch Kapuzen über blonde Haarschöpfe und Reißverschlüsse zu.
    Miriam sah sie erwartungsvoll an. »Und wo ist mein Sportzeug?«
    Siehste, da war doch etwas.
Ihr Gefühl hatte sie nicht getäuscht. »Wenn du es nicht mitgenommen hast, steht es vermutlich noch im Flur neben der Treppe.«
    »Na toll. Warum immer ich? Erst muss ich mir dieses blöde Lied im Radio anhören, und jetzt ist auch noch mein Sportzeug zu Hause geblieben. Simons Sachen vergisst du nie.«
    »Miriam, ich bin doch nicht heute früh aufgestanden und habe mir überlegt, womit ich dich am meisten ärgern kann. Solche Dinge passieren eben.«
    »Aber das ist jetzt schon das zweite Mal! Frau Henningsen wird böse sein, ich bekomme einen Strich …«
    »Es tut mir leid, Miriam. Wann hast du denn Sport?«
    »In der Vierten.«
    »Ich bringe dir den Turnbeutel vorbei. Versprochen.« Sie hob ihrer Tochter den Ranzen auf den Rücken und gab ihr einen Kuss auf die gefurchte Stirn.
    »Wenn du es nicht vergisst.«
    »Vielleicht solltest du das nächste Mal selbst an deine Sachen denken?«
    »Und vielleicht solltest du auch Tai Ginseng nehmen wie Oma?«
    An einem normalen Tag hätte sie nicht gewusst, ob sie über die Schlagfertigkeit ihrer Tochter lachen oder sich über die Frechheit ärgern sollte. Heute war sie für beides zu erschöpft. Julia seufzte.
    »Tschüss Mama!« Simon warf sich den Ranzen über die Schulter, winkte und stürmte davon, Miriam ging langsam und würdevoll hinterher. Blieb nur noch ihr Jüngster.
    Julia warf die Kofferraumklappe zu und griff nach seiner kleinen Hand. Gemeinsam gingen sie zum Kindergarten. Jonas freute sich über die Baustelle vor der Schule, wo Arbeiter die vom Winter zerschlissene Straße ausbesserten. Er zählte alle Baumaschinen auf, die er dort

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