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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks
Autoren: Yvonne Winkler
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durcheinanderbringen; die Kinder seien noch zu klein und bräuchten mich noch; er verdiene genug für uns; ich würde den Haushalt so schon nicht schaffen; ich sei zu dumm.«
    »Das hat er gesagt?«
    »Nicht direkt. Aber sinngemäß. Er erinnert mich ständig daran, dass ich mich bereits in der Schulzeit mit Naturwissenschaften schwergetan habe. Und dass mein Notendurchschnitt nicht der beste war.«
    Oma Lotte stellte ihre Teetasse ab und griff nach Julias Hand. »Das tut mir leid für dich, min Deern. Jetzt wird mir auch klar, warum du so blass um die Schnut bist. Und was die Ursache für die Migräne vergangene Woche war.«
    Julia rieb sich die Stirn. Die Kopfschmerzen waren noch nicht verschwunden, auch wenn die Ruhe auf der Veranda und der Tee ihr guttaten.
    »Ich habe in der letzten Zeit kaum geschlafen. Wir streiten uns fast nur noch. Er ist so rückständig, so engstirnig! Ich habe den Eindruck, dass er gar nicht begreift, worum es mir eigentlich geht. Oder es nicht begreifen will.«
    Oma Lotte ließ ihre Hand los und legte ihr mit dem kleinen silbernen Gebäckheber ein Mandelhörnchen auf den Teller.
    »Dein Marco ist ein Guter«, sagte sie. »Er liebt dich von ganzem Herzen. Er wird dich verstehen. Ihm wird klarwerden, dass du das Studium nicht beginnen willst, um dich von ihm abzunabeln. Allerdings solltest du ihm Zeit lassen. Du selbst hast dich schon länger mit dem Gedanken auseinandergesetzt, auch wenn es dir nicht bewusst war. Für ihn ist er neu. Er muss sich erst daran gewöhnen.«
    »Zwei Wochen lang?« Julia schüttelte den Kopf. »Ich habe den Eindruck, es ist mehr als die Angst vor Veränderungen. Er will alles beim Alten lassen. Und damit meine ich so wie vor hundert Jahren: Der Mann sorgt für das Einkommen, die Frau bleibt im Haus und kümmert sich um die Kinder und den Haushalt.«
    »Bist du jetzt nicht ungerecht? Wenn du anfängst zu studieren, wird sich euer Leben zwangsläufig ändern. Du wirst weniger Zeit zu Hause verbringen, der Alltag mit euren Lütten muss neu organisiert werden.« Julia wollte etwas entgegnen, doch Großmutter brachte sie mit einer Geste zum Schweigen. »Lass mich bitte ausreden. Ich kann mir vorstellen, dass du diese Dinge nicht gern hörst. Du bist ein ungeduldiger Mensch. Es zieht dich immer vorwärts. Und wenn du dir irgendetwas in den Kopf gesetzt hast, muss es auch schon im nächsten Moment passiert sein. Du willst zu viel in zu kurzer Zeit. Und vor lauter Enthusiasmus vergisst du dabei die Leute in deinem Umfeld.«
    »Soll das heißen, dass du auch dagegen bist, dass ich studiere?«
    »Nein, das will ich nicht sagen. Aber es ist eine einschneidende Veränderung für euch alle. Nicht nur für ein paar Wochen oder Monate. Das Studium wird sich über Jahre hinziehen. Ich finde, es ist richtig, dass Marco sich über Dinge Gedanken macht, die du in deiner Begeisterung offensichtlich vergisst.« Oma Lotte lächelte ihr aufmunternd zu. »Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass sich die Kinder und dein Mann besser fühlen, wenn du ausgeglichen und zufrieden in die Uni gehst, als wenn du griesgrämig oder schwermütig zu Hause herumsitzt.«
    Julia lächelte schief. »Das tröstet mich jetzt nicht gerade.«
    »Aber ich habe etwas, das dich trösten kann«, erwiderte Oma Lotte und zwinkerte ihr zu. »Warte einen Augenblick.« Sie stand auf und ging ins Wohnzimmer.
    Die Wanduhr schlug elfmal, während Julia mit ihrem Schicksal haderte. Ihre Freundinnen arbeiteten alle – Anja in einem Reisebüro, Lisa in einer Boutique, Marlene schrieb vormittags Romane, und Susanne studierte Germanistik. Warum sollte sie die Einzige aus ihrem Kreis sein, die nicht das tun durfte, was sie wollte? Das war ungerecht.
    Oma Lotte kam mit zwei Lederbänden und ihrer Lesebrille zurück. Sie schob ihren Stuhl näher und setzte ihre Brille auf.
    »Was ist das?«, fragte Julia und sah neugierig dabei zu, wie Großmutter in dem größeren der beiden Bücher zu blättern begann.
    »Es ist das Fotoalbum meiner Großmutter. Und das da«, sie deutete auf das Buch auf dem Teetisch, »ist ihr Tagebuch.« Sie hatte das Bild gefunden, das sie gesucht hatte, und zeigte es ihr. »Das ist sie. Victoria Seymour, geborene Bülau.«
    Julia betrachtete die Frau auf dem Schwarzweißfoto. Sie trug ein altmodisches Kleid mit hochgeschlossenem Kragen und Rüschen, ihr helles Haar war hochgesteckt. Ihr Gesicht mit der schmalen Nase war hübsch. Und obwohl sie ernst und würdevoll in die Kamera blickte, machte sie
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