Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Harter Schnitt

Harter Schnitt

Titel: Harter Schnitt
Autoren: Karin Slaughter
Vom Netzwerk:
immer seinen Ehering? Wahrscheinlich aus demselben Grund, warum Angie immer wieder Nachrichten an Saras Auto hinterließ.
    Will fragte: » Was ist los?«
    Sie deutete zum Tisch. » Können wir uns setzen?«
    Er wartete, bis sie saß, und setzte sich dann auf den Stuhl ihr gegenüber. » Das klingt nicht gut«, sagte er.
    » Nein«, entgegnete sie.
    Er klopfte mit den Fingern auf den Tisch. » Ich glaube, ich weiß, was du sagen willst.«
    Sie sagte es trotzdem. » Ich mag dich, Will. Ich mag dich wirklich.«
    » Aber?«
    Sie berührte seine Hand und ließ einen Finger auf seinem Ehering liegen.
    » Ja«, sagte er. Keine Erklärung. Keine Entschuldigung. Kein Angebot, den Ring abzunehmen und wegzuwerfen. Oder ihn wenigstens in seine gottverdammte Tasche zu stecken.
    Sara zwang sich zum Weiterreden. » Ich weiß, dass Angie ein großer Teil deines Lebens ist. Ich respektiere das. Ich respektiere, was sie dir bedeutet.«
    Sie wartete auf eine Antwort, aber es schien keine zu kommen. Stattdessen nahm Will ihre Hand. Mit dem Daumen strich er über die Linien in ihrer Handfläche. Sara konnte nicht verhindern, dass ihr Körper auf diese Berührung reagierte. Sie schauten beide auf ihre Hände. Sie schob ihre Finger unter die Manschette seines Hemds. Die Narbe fühlte sich an ihrer Haut rau an. Sie dachte an all die Dinge, die sie nicht über ihn wusste– die Qualen, die er erlitten hatte, den Schmerz, den er sich selbst zugefügt hatte. Und das alles hatte er mit Angie an seiner Seite erlebt.
    » Ich komme gegen sie nicht an«, gab Sara zu. » Ich kann nicht mit dir zusammen sein, wenn ich das Gefühl habe, dass du lieber mit ihr zusammen wärst.«
    Er räusperte sich. » Ich will nicht mit ihr zusammen sein.« Sara wartete, dass er sagte, er wolle mit ihr zusammen sein. Aber er tat es nicht.
    Sie versuchte es noch einmal. » Ich kann nicht die zweite Geige spielen. Das Gefühl, dass du, egal, wie sehr ich dich brauche, immer zuerst zu Angie rennen wirst, halte ich nicht aus.«
    Wieder wartete sie darauf, dass er etwas sagte– irgendwas–, das sie überzeugte, dass sie sich täuschte. Sekunden verstrichen. Sie fühlten sich an wie eine Ewigkeit.
    Als er endlich den Mund öffnete, war seine Stimme so leise, dass sie ihn kaum verstehen konnte. » Sie schlug sehr oft blinden Alarm.« Er leckte sich über die Lippen. » Als wir klein waren, meine ich.« Er schaute hoch, um sich zu versichern, dass Sara auch zuhörte. » Da war dieses eine Mal, als wir zusammen weggegeben wurden. In eine Pflegefamilie, meine ich. Es war eher wie eine Pflegefabrik. Sie taten es nur wegen des Geldes. Zumindest die Frau. Der Mann tat es wegen der jungen Mädchen.«
    Sara wurde die Kehle eng. Wieder musste sie gegen den Impuls ankämpfen, Mitleid für Angie zu empfinden.
    » Wie gesagt, sie schlug oft blinden Alarm. Als sie den Kerl beschuldigte, sie sexuell zu belästigen, glaubte der Sachbearbeiter ihr nicht. Legte nicht mal eine Akte an. Hörte nicht auf mich, als ich sagte, dass sie diesmal nicht log.« Er zuckte die Achseln. » Manchmal hörte ich sie nachts. Sie schrie, weil er ihr wehtat. Er tat ihr oft weh. Den anderen Kindern war es völlig egal. Schätze, die waren einfach froh, dass es nicht ihnen passierte…« Seine Stimme verklang. Er starrte seinen Daumen an, der über ihre Fingerrücken wanderte. » Ich wusste, dass Ermittlungen eingeleitet werden mussten, wenn einem von uns etwas angetan wurde. Oder wir uns selbst etwas antaten.« Er verstärkte den Griff um ihre Hand. » Also habe ich Angie gesagt, ich werde das und das tun. Und ich habe es auch getan. Ich holte eine Rasierklinge aus dem Medizinschränkchen und schnitt mir den Unterarm auf. Ich wusste, es durfte keine halbe Sache sein. Du hast die Narbe gesehen.« Er lachte gequält auf. » Es war keine halbe Sache.«
    » Nein«, pflichtete sie ihm bei. Es war kaum zu verstehen, wie er es geschafft hatte, nicht vor Schmerz ohnmächtig zu werden.
    » Na ja«, sagte Will. » So kamen wir also aus diesem Heim heraus, und es wurde geschlossen, und die Familie, die es betrieben hatte, durfte keine Kinder mehr in Pflege nehmen.« Er schaute hoch und blinzelte ein paar Mal, um wieder klar sehen zu können. » Weißt du, eines der Dinge, die Angie vorgestern Abend zu mir gesagt hat, war, dass ich das für dich nie tun würde– mich selbst so schneiden–, und ich glaube, sie hat recht.« Sein Lächeln wirkte traurig. » Nicht, weil ich dich nicht mag, sondern weil du mich nie in eine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher