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Hansetochter

Hansetochter

Titel: Hansetochter
Autoren: Sabine Weiß
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mit heller Haut und strubbeligem rötlichem Haar, dessen Gestalt gebogen wie ein Angelhaken wirkte, ganz so, als versuche er sich kleiner zu machen als er war. »Ihr sollt doch nicht im Speicher herumtoben!« Er zog die dichten Brauen zusammen, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.
    Henrike wusste jedoch, dass er nicht streng war. Sie kannte ihn gut, war mit ihm aufgewachsen. Ihr Vater hatte Jost nach dem Tod seiner Eltern als Lehrjungen aufgenommen. Seitdem lebte er bei ihnen, hatte oft mit ihnen am Herrentisch gegessen und manchen ruhigen Winterabend beim gemeinsamen Spiel verbracht. Außer Atem lehnten Simon und sie an einem verschnürten Paket. Gleichzeitig entdeckten sie die Markierung   – hier war der Hermelin!
    »Wusste ich’s doch«, schnaufte Simon. »Wir haben Hermelin.« Jost war schon am Hinuntergehen, hielt aber noch einmal inne.
    »Hier? Die Felle haben auf dem Speicher nichts zu suchen. Müssen im Keller gelagert werden, im Kühlen. Wird Zeit, dass die Waren abgehen, damit hier wieder Ordnung hineinkommt«, murmelte er und hob dann die Stimme. »Und, Simon, was weißt du noch?«
    Ihr Bruder sah nachdenklich nach oben, als könne er die Antwort zwischen den Deckenbalken und den Seilen des Lastenaufzugs finden.
    »Nun los, wir haben nicht ewig Zeit!«, drängte Jost. Wenn ein Schiff mit Handelswaren angekommen war, musste es schnell gehen. Im Lübecker Hafen herrschte Platznot, angelandete Ware musste sofort weiterverkauft oder in die Lager gebracht werden, wusste Henrike.
    »Sie kamen direkt aus Reval. Die meisten gehen weiter nach Brügge. Vater war mit der Qualität zufrieden. Keine gefälschten dabei, dieses Mal«, sagte Simon.
    »Woran erkennst du die?«
    »Die gefälschten sind zusammengefügt aus kleineren Fellen. Haben Nähte. Oder sind gefärbt, beispielsweise mit Blei. Man kann Farbe an die Finger bekommen«, fasste Simon zusammen.
    Henrike lächelte ihren kleinen Bruder an. Wie stolz sie auf ihn war! Auch Jost nickte zufrieden. Simon rannte an ihnen vorbei und sprang, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Stiege hinab, entlang der anderen Speicherböden, die Wendeltreppe hinunter und durch die hohe Diele, an der zur Straße hin die Schreibkammer ihres Vaters lag. Henrike folgte ihm wie im Flug, doch Jost blieb an der Haustür zurück.
    »Kommst du nicht mit?«, fragte Simon.
    »Ich kann hier nicht weg. Die ersten Waren kommen schon.« Henrike bemerkte nun auch die Männer, die mühsam Karren mit Fässern hügelan bewegten.
    »Ab mit euch in den Hafen. Euer Vater wartet am Anleger.«
    ~~~
    Das Stadttor zum Hafen war, wie so oft, vor lauter Menschen kaum zu sehen. Schwer bepackte Träger schoben sich an hoch beladenen Karren vorbei, dazwischen drängten sich Kleinhöker und Bettler. Henrike ergriff Simons Hand, wollte, dass sie zusammenblieben, aber ihr Bruder machte sich los, lief energisch voraus und versuchte, ihr den Weg zu bahnen. Da hielt eine Bettlerin sie auf.
    »Gute Frau, habt Erbarmen«, flehte sie und reckte den Geschwistern ihre Hand entgegen. Der Kittel der Armen war so zerschlissen, dass man ihr mausbraunes Haar und ihre sonnengebräunte Haut durch die Fetzen sehen konnte, ihre Füße waren nackt und verdreckt. An ihrer Brust hielt sie ein wenige Wochen altes Kind. Es war so zart, dass es beinahe durchscheinend wirkte.
    Henrike schnürte es den Hals zusammen vor Mitleid. Sie wusste, ihr Wohlstand war ihnen nur von Gott geliehen. Ein Schlag des Schicksals, und jedem könnte es so schlecht ergehen wie den Bettlern; das hatte ihre Stiefmutter ihnen oft genug klargemacht. Ihre Stiefmutter Anna war sehr fromm gewesen. Keine Messe hatte sie ausgelassen, zur Beichte war sie häufiger als vorgeschrieben gegangen. Sie hatte sogar auf den Bau einer Gottesbude an ihrem Haus gedrängt, einer Kammer, die den Armen für einen Gotteslohn, also fast umsonst, zur Verfügung gestellt wurde. Konrad Vresdorp hatte das Ansinnen seiner Frau abgelehnt, weil er fürchtete, dass die Bettler die Kunden vergraulen könnten. Umso großzügiger war er seitdem jedoch mit Almosen. Täglich verteilten sie Gutes aus ihrer Küche an die Armen.
    »Ich habe nichts, das ich dir geben könnte«, sagte Henrike beschämt. Schon ergriff die Bettlerin Simons Hand, dem Jungen war das sichtlich unangenehm.
    »Und ihr, guter Herr?« Simon befreite sich aus ihrem Griff, doch die Frau schob ihm das leblos wirkende Kind hin. »So gebt etwas! Ich fürchte, mein Kind übersteht die nächsten Tage nicht«, sagte sie und
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