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Hansetochter

Hansetochter

Titel: Hansetochter
Autoren: Sabine Weiß
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durchzugehen, was sie Mette sagen wollte, doch die Worte, die sie in der Stille ihrer Kammer so sorgsam aneinandergereiht hatte, waren wie weggeblasen. »Ich bin   ...« Wie ging es weiter? »Ich weiß   ...« Ihr Mut sank. »Ich kenne   ...«. Wie war es bloß gewesen? Wenn sie nicht wusste, was sie sagen sollte, könnte sie auch gleich gehen!
    Sie spürte einen Windzug über ihre heißen Wangen streichen. Die Eingangstür ging auf und zu, immer wieder traten Männer ein oder verließen das Haus, sogar Nachtwächter waren dabei. War es denn erlaubt, des Nachts durch die Straßen zu streichen? Und hatten die Nachtwächter nicht auf Sicherheit und Ordnung zu achten? Jetzt erst fiel ihr auf, dass es nebenan still geworden war. Der Goldzahn ging in das Zimmer und kam schon wenig später wieder heraus. Er schnalzte mit der Zunge.
    »Du kannst nicht zu Mette. Komm ein andermal wieder, Kleiner.«
    Ein andermal? Henrike spürte Tränen aufsteigen und blinzelte heftig. Noch einmal würde sie das nicht durchstehen. Die Gefahr, entdeckt zu werden, war einfach viel zu groß. Der Goldzahn sah sie angewidert an.
    »Heul nicht. Du bist doch kein Mädchen«, sagte er und machte eine vage Handbewegung. »Da ist ja auch noch die rote Karin. Die ist auch gut.«
    Sie biss sich auf die Lippen, schmeckte ihren Schweiß, beharrte: »Ich muss aber zu Mette.«
    Der Mann riss sie hoch. »Ich zeig dir, was du musst, Kleiner!«, zischte er.
    »Lass ihn.« Eine sanfte Stimme gebot ihm Einhalt.
    In der Tür stand eine wohlgeformte Frau mit haselnussbraunen Haaren und Augen. Sie war nur einige Jahre älter als Henrike, an die zwanzig. Ihre geröteten Wangen leuchteten, als wäre sie ein Stück gelaufen, aber sie wirkte im Gegensatz zu der Straßendirne natürlich und hübsch, nicht aufgetakelt oder verbraucht.
    »Der Bursche soll mir erzählen, warum er ausgerechnet zu mir will und zu keiner anderen. Wenn er frech wird, kannst du ihm immer noch bessere Manieren beibringen. Danach steht mir heute nicht mehr der Sinn.«
    Zögernd folgte Henrike der Dirne in ihr Zimmer. Rund um das Bett brannten Kerzen. Seidentücher hingen über die Pfosten, Stöcke und Lederriemen lagen auf dem Boden. Henrike war durcheinander. Was hatte das zu bedeuten? Während Mette sich auf ihrem Lager räkelte wie eine Katze vor dem warmen Ofen, kramte sie die vorbereitete Rede aus dem Gewirr ihrer Gedanken hervor. Jetzt ging es um alles!
    »Ich bin   ...«, begann Henrike zögernd, doch schon nach wenigen Augenblicken sprudelten die Worte nur so aus ihr heraus.
    ~~~
    Henrike wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als sie Mettes Zimmer schließlich verließ. Der Schankraum war fast leer. Ein junger Mann lag auf der Bank und schnarchte, ein anderer brütete über seinem Bierkrug. Misstrauisch kam der Frauenwirt näher. Henrike wich seinem Blick aus, aber Mette trat schon zu ihr. Sie umarmte Henrike zum Abschied, presste ihre Lippen auf ihren Mund und stieß sie spielerisch von sich.
    »Der wird noch mal ein ganz Wilder!«, rief Mette dem Goldzahn schalkhaft zu.
    »Und dann kriegen wir ihn gar nicht mehr hier weg!«, setzte er nach und lachte meckernd.
    Henrike taumelte hinaus, der Morgen graute bereits. Sie rieb sich über den Mund, bis die Lippen brannten. Würde sie die Sünden dieser Nacht je wiedergutmachen können? Würde sie einem Priester beichten können, was sie heute getan hatte? Oder würde sie dafür im Fegefeuer schmoren? War es das wert gewesen? Das Hemd klebte schweißnass an ihrem Körper. Ihr fröstelte.Sie fühlte sich erschöpft und ausgelaugt. Ihr Kopf schwirrte von Eindrücken und von den Worten, die sie und Mette gewechselt hatten. Henrike hatte mehr erfahren, als sie zu hoffen gewagt hatte. Was hatte sie alles über ihren Vater nicht gewusst!
    Die ersten Menschen traten müde aus ihren Häusern. Henrike machte sich eilends davon   – es wäre zu ärgerlich, wenn man sie jetzt noch ertappen würde. Doch je weiter sie sich von dem Hurenhaus entfernte, umso mehr löste sich die Spannung in ihr, und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus   – am liebsten hätte sie laut aufgelacht. Ja, es hatte sich gelohnt! Sie hatte das Geheimnis gelüftet, hatte einen Weg gefunden, ihr Erbe und das ihres Bruders wiederzuerlangen. Das Kaufmannshaus ihres Vaters war doch nicht verloren! Alles könnte noch gut werden. Möglicherweise war es noch nicht einmal zu spät, um Adrian für sich zu gewinnen. Allerdings war ihr neues Wissen auch gefährlich. Mit
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