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Der Stein der Wikinger

Der Stein der Wikinger

Titel: Der Stein der Wikinger
Autoren: Thomas Jeier
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Prolog
    Als James F. Hakon und sein Sohn Scott am frühen Morgen des 13. März 1899 ins Freie traten, ahnten sie nicht, dass sie noch vor dem Mittagessen eine Entdeckung von historischer Bedeutung machen würden. Wie alle Farmer hatten sie nur Augen für das Wetter. Im Westen über den Seen waren dunkle Wolken aufgezogen, und ferner Donner kündigte ein Gewitter an.
    »Höchste Zeit, dass wir die alte Pappel ausgraben«, sagte James, ein kräftiger Mann mit rotblonder Löwenmähne, die wild nach allen Seiten abstand. Er trug keinen Hut. Seine Augen waren so blau wie der Himmel an einem der seltenen Sommertage in Minnesota. »Da braut sich was zusammen.«
    »Bis Mittag sind wir sicher. Soll ich den Wallach mitnehmen?«, fragte Scott.
    Sein Vater nickte, die Augen noch immer zum Himmel gewandt. »Ist wohl besser. Ohne den Gaul kommen wir nicht weit. Vergiss die Ketten nicht.«
    Scott ging in den Stall und sattelte eines der beiden Arbeitspferde. Er legte ihm die Ketten, die sie für den Baumstumpf brauchen würden, über den Rücken, und führte es nach draußen. Der Wallach schnaubte unwillig, als er das nahende Gewitter spürte. Mit dem Pferd an den Zügeln überquerte Scott den Hof. Sein Vater hatte die Hacken, Pickel und Äxte aus dem Schuppen geholt und war bereits zum Acker unterwegs. Sein Haar leuchtete im Licht der wenigen Sonnenstrahlen, die durch die Wolken drangen.
    Sie waren schon seit zwei Tagen damit beschäftigt, den Acker von Bäumen zu befreien, die beim Pflügen störten. An einigen Stellen war die Erde besonders fest, und es bedurfte großer Anstrengungen, die Baumstümpfe mit ihren verzweigten Wurzeln aus dem Boden zu ziehen. Einen besonders alten Baum mit verwitterter Rinde hatten sie sich für zuletzt aufgehoben.
    Die Späne flogen nach allen Seiten, als sie ihre Äxte ins Holz trieben. Mit gleichmäßigen Schlägen gruben sie tiefe Keile in die Pappel. Sie waren so in ihre Arbeit vertieft, dass sie gar nicht merkten, wie der Wind auffrischte und die Gewitterwolken über den Himmel jagte. Zufrieden beobachteten sie, wie der Stamm knackend zu Boden fiel.
    James wischte sich den Schweiß mit dem Hemdsärmel von der Stirn. Stirnrunzelnd betrachtete er den großen Baumstumpf mit seinen kräftigen Wurzeln, die teilweise über der Erde lagen. »Das wird ein hartes Stück Arbeit«, stöhnte er. »Ich wollte, wir hätten einen dieser neuen Motorwagen.«
    Mit den Hacken und Schaufeln drangen sie bis zu den tieferen Wurzeln vor. Scott befestigte die Ketten am Sattelhorn des Wallachs und band sie um den freigelegten Baumstumpf. Er feuerte das schwerfällige Pferd an: »Nun mach schon! So ist es gut! Vorwärts, er bewegt sich schon!«
    Doch der Baumstumpf löste sich kaum aus seiner Umklammerung. Er saß fest wie ein störrischer Backenzahn. »Halt, so geht es nicht«, hielt ihn sein Vater zurück, »die Wurzeln sitzen zu fest. Wir müssen noch tiefer graben.«
    Sie trieben erneut die Hacken in die dunkle Erde und stießen plötzlich auf etwas Hartes. James fluchte wütend, als ihm der Aufprall die Hacke aus den Händen riss. Mit schmerzverzerrtem Gesicht griff er sich ans rechte Handgelenk. »Auch das noch! Als ob wir hier nicht schon genug Ärger hätten!«
    Sie beugten sich über das Loch und sahen einen großen Stein aus der Erde ragen. Wie die Fangarme eines riesigen Kraken umschlossen ihn die Wurzeln, als weigerten sie sich, ihn herzugeben. Als Scott in das Loch kletterte und ihn von Erde und Wurzeln befreite, erkannten sie, dass er ungefähr einen Meter hoch und ein Drittel so breit war. »Sieht wie ein Grabstein aus«, sagte Scott.
    »Unsinn! Hier draußen gab’s keinen Friedhof«, erwiderte sein Vater.
    Sie wuchteten den Stein aus dem Loch, mussten mehrmals ansetzen, um ihn über den Rand zu bekommen. Selbst zwei so starke Männer wie James und sein Sohn gerieten dabei ins Schwitzen. Der Stein war zentnerschwer, seine Oberfläche rau, doch er war kaum zu fassen. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis sie ihn endlich neben den umgestürzten Baum geschoben hatten.
    »Mann!«, stöhnte James nur, als er den Stein losließ. Er griff nach der Wasserflasche an seinem Gürtel, nahm einen Schluck und reichte sie seinem Sohn. Scott war viel zu erledigt, um etwas zu sagen.
    Ein heftiger Donnerschlag ließ den Boden erzittern. Es war dunkler geworden, als wollte die Nacht den Tag zurückerobern, und die ersten Regentropfen fielen vom Himmel. Böiger Wind fegte über den Acker. Die beiden Männer hielten ihre
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