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Der Stein der Wikinger

Der Stein der Wikinger

Titel: Der Stein der Wikinger
Autoren: Thomas Jeier
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Gesichter in den Regen. Sie waren dankbar für die Dusche, die den Schweiß und den Schmutz von ihrer Haut und ihrer Kleidung wusch.
    »Lass uns später weitermachen«, sagte James und schob sich die nassen Haare aus der Stirn. Er wollte gerade zu dem Wallach gehen, als sein Blick auf den Stein fiel. Überrascht blieb er stehen. »He, Scott! Sieh dir das an!«
    Der Regen hatte einiges an Dreck von dem Stein gewaschen und eine Inschrift freigelegt, die fast die ganze Oberfläche bedeckte. Wie bei manchen Grabsteinen waren die Schriftzeichen tief in den Stein geschlagen worden.
    Scott bückte sich und rieb mit der flachen Hand über die Inschrift. Verwundert betrachtete er die seltsamen Zeichen. Keine Buchstaben, wie er sie kannte, eher keilförmige Einkerbungen, die an die Spur eines Vogels erinnerten. »Seltsam«, wunderte er sich, »so was hab ich noch nie gesehen.«
    Sein Vater beugte sich neben ihm über den Stein und betrachtete die Schrift minutenlang, strich immer wieder über die tief in den Stein gehauenen Zeichen, fuhr einzelne Symbole mit dem Finger nach, als würde ihm das helfen, sie zu verstehen. »Mann!«, sagte er dann. »Mann! Weißt du, was das ist? Weißt du das?«
    Scott blickte ihn verständnislos an. »Keine Ahnung.«
    »Erinnerst du dich an den Farmer in Kensington? Muss ungefähr ein Jahr her sein. Wie hieß er noch? Olof oder so ähnlich. Den Nachnamen hab ich vergessen. Der hat auch so einen Stein gefunden. Ich war damals gerade in Alexandria bei unserem Vetter Raymond. Du weißt schon, von dem wir den Wagen haben. Den Stein hab ich nie gesehen, aber in der Zeitung war ein Bild. Er sah genauso aus wie dieser hier. Die gleichen Schriftzeichen.«
    »Bist du sicher?«
    »Natürlich bin ich sicher«, sagte er. Der Regen lief ihm übers Gesicht und tropfte auf seine Jacke. Er spürte die schweren Tropfen kaum. »Als ob ein Vogel über den Stein gelaufen wäre. Irgendwas Indianisches, dachten alle.«
    »Indianer haben keine Schrift.«
    »Eben.« Ein Blitz zuckte über den Himmel und warf gespenstisches Licht auf den Stein, ließ die seltsamen Schriftzeichen noch geheimnisvoller erscheinen. »Sie haben den Stein einer Lehrerin gezeigt, aber die wusste auch nichts damit anzufangen und holte ihren Onkel, einen Professor von der Universität. Der hatte Geschichte studiert und wusste sofort, um was es ging.«
    Scott blickte seinen Vater fragend an. »Und?«
    »Die Wikinger«, antwortete James. »Er sagt, die Wikinger hätten die Zeichen in den Stein gemeißelt. Runen hat er sie genannt und er konnte sie sogar entziffern. Die Inschrift würde beweisen, dass die Wikinger schon vor vielen hundert Jahren in Amerika gewesen wären. Noch vor Kolumbus.«
    »Die Wikinger? Die mit den Drachenbooten?«
    »Genau die. Die Wikinger hätten damals in Grönland gelebt und wären mit ihren Booten über den St. Lawrence River und die Großen Seen bis zu uns nach Minnesota vorgestoßen. Ich konnte es auch nicht glauben, aber er sagt, die Schriftzeichen würden das eindeutig beweisen.« Er ließ seine Hand erneut über den Stein gleiten. »Stell dir vor … die Wikinger … auf unserer Farm!«
    »Und wir sind vielleicht mit ihnen verwandt.«
    James lächelte. »Ganz sicher sogar. Meine Eltern kamen damals aus Norwegen rüber und da lebten früher nur Wikinger.«
    »Und was machen wir jetzt?«
    »Na, was wohl?«, erwiderte sein Vater grinsend. »Wir holen den Professor. Ich will wissen, was auf dem Stein steht.«

HAKON
    1
    Wie riesige Vögel mit blutigem Gefieder flogen die drei Langschiffe auf die irische Küste zu, elegante Skarfis mit dunkelroten Segeln, die sich im Nordwestwind blähten. Beinahe schwerelos jagten sie über die Wellen, getrieben vom Wind und den Rudern der über hundert zu allem entschlossenen Männer. Jedes der Boote schien zuerst an der nahen Küste anlegen zu wollen.
    Hakon saß neben Gunnar, einem erfahrenen Krieger, dessen Narben von zahlreichen Kämpfen berichteten, und legte sich mit aller Kraft in die Riemen. Jeweils zwei Männer bedienten ein Ruder, mit dem Rücken zum Bug, doch an den leuchtenden Augen des Steuermannes sahen sie, dass es nicht mehr weit bis zur Küste war. Alle waren dankbar, bei diesem Kriegszug dabei zu sein, freuten sich darauf, mit Schätzen beladen zurückkehren oder als glorreiche Krieger ins Reich Odins einziehen zu dürfen.
    Für Hakon war es der erste Kriegszug. Er hatte noch keine zwanzig Winter erlebt und bisher nur an kleineren Gefechten teilgenommen. Wie die
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