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Der Stein der Wikinger

Der Stein der Wikinger

Titel: Der Stein der Wikinger
Autoren: Thomas Jeier
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zusammengefügten Steine. Durch den Aufprall sprühten Funken. Er kletterte an der Mauer empor, spähte vorsichtig darüber, um nicht in einen Hinterhalt bewaffneter Bauern zu laufen und lächelte grimmig, als er den Mönch durch die feuchte Erde eines frisch gepflügten Ackers stapfen sah. Die wenigen Sonnenstrahlen, die sich durch die Wolken kämpften, ließen das geheimnisvolle Etwas in seinen Armen in verlockenden Farben leuchten.
    Siegessicher folgte ihm Hakon. Jenseits des Ackers waren weitere Felder zu sehen, die sich bis zu einem fernen Waldrand erstreckten und keine Möglichkeiten für ein Versteck boten. Der Flüchtende würde ihm nicht entkommen. Die schwache Sonne zauberte eine seltsam friedliche Stimmung auf die hügelige Landschaft, ließ die Erde in satten Brauntönen leuchten und passte so gar nicht zu dem schauerlichen Siegesgeheul, das hinter ihm im Kloster erscholl. Die Nordmänner hatten fast alle Einwohner getötet und feierten ihren Erfolg mit deftigen Kampfgesängen.
    Als der Mönch stolperte und zu Boden fiel, wurde ihm klar, dass es keine Hoffnung mehr für ihn gab. Er war seinem Verfolger hilflos ausgeliefert und gab auf. Ohne den Gegenstand in seinen Armen loszulassen, sank er auf die Knie und begann zu beten. Er hielt die Augen geschlossen, wollte nicht zusehen, wie Hakon das Schwert zum tödlichen Schlag erhob und auf ihn niedersausen ließ. Er betete in einer seltsamen Mischung aus Latein und seiner Landessprache und versuchte so tapfer wie möglich zu sterben.
    Doch Hakon tötete ihn nicht. Wie von einer unsichtbaren Macht gebannt blieb er stehen, das Schwert nur halb erhoben, und starrte auf den Schatz in den Armen des knienden Mönchs. Ein Buch, so viel konnte er nun erkennen. Eines dieser wertvollen Bücher, wie sie Ivar auch von einem anderen Raubzug nach Hause gebracht hatte. Einige seiner Verwandten hatten sie für wertloses und mit sinnlosen Symbolen verziertes Pergament gehalten und wollten sie ins Feuer werfen, aber Ivar erkannte den großen Wert der Bücher und verkaufte sie für schweres Silber an einen Händler aus Franken. Obwohl nur ein kleiner Teil des Buches unter den Armen des Mönchs hervorlugte, sah Hakon die goldenen Zeichen und das in allen Farben strahlende Bild auf der Vorderseite.
    Hakon spürte, wie der Anblick des geheimnisvollen Buches seine Muskeln lähmte. Von dem bemalten Pergament schien eine magische Kraft auszugehen, die ihn daran hinderte, den Mönch zu töten. Oder hatte er nur Angst, mit seinem Hieb das Buch zu zerstören und es mit Blut zu besudeln? Er ließ die Hand mit dem Schwert sinken und wartete, bis der Mönch die Augen öffnete und ihn mit einer Mischung aus Furcht und Verwunderung anblickte. »Gib es mir!«, forderte Hakon ihn auf. Er unterstrich die barschen Worte, die der Mönch nicht verstand, mit einer eindeutigen Geste.
    Der Mönch hatte bei seinem Anblick zu zittern begonnen, und selbst seine Gebete waren verstummt. Mit bebenden Lippen und purer Verzweiflung in den Augen reichte er Hakon das Buch. Dann senkte er den Kopf und wartete auf den Schlag, der seiner Meinung nach unweigerlich kommen musste.
    Doch Hakon hatte sich längst abgewandt und kehrte zum Kloster zurück.

2
    Das Buch in seinen Armen schien zu leben. Eine unerklärliche Energie floss von dem Pergament in seinen Körper, in sein Blut und ließ ihn wie der Anblick einer verlockenden Frau erschauern. Wie Feuer brannte es an seinem Körper, es schien sich zu bewegen, als verlangte es mit aller Macht danach, von ihm aufgeschlagen zu werden.
    Vor der Mauer gab Hakon dem Drängen nach. Er setzte sich auf einen Grenzstein am Rande des Ackers, legte den erbeuteten Schatz auf seine Knie und strich beinahe ehrfurchtsvoll mit der flachen Hand über die bemalten Seiten. Eine eigenartige Wärme ging von den Zeichen und Bildern aus, obwohl das Pergament kalt war und ihm der frische Morgenwind ins Gesicht blies.
    Er verstand die Zeichen nicht, hatte nie gelernt, die Schrift seiner Feinde zu entziffern. Sie interessierte ihn auch nicht besonders. Er bewunderte lediglich das handwerkliche Geschick, das der Schreiber bewiesen hatte. Die meisten Zeichen hatte er mit schwarzer Farbe auf das Pergament gemalt. In kunstvollen Bögen und scharfen Kanten schwangen sie sich über die getrocknete Tierhaut. Einige besonders große Zeichen waren mit leuchtender Farbe ausgemalt, strahlten rot, blau und grün und erinnerten ihn an die Muster auf königlichen Schwertern.
    Was ihn dazu trieb, das Buch
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