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Hansetochter

Hansetochter

Titel: Hansetochter
Autoren: Sabine Weiß
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noch kühl. Ein Blick nach allen Seiten. Kein Mensch war zu sehen, wo sonst geschäftiges Treiben herrschte. Ihre Nackenhaare stellten sich auf. Noch nie war sie um diese Zeit allein auf den Straßen gewesen. Die Häuser aus Backstein, die tagsüber im Sonnenschein einen warmen Rotton aussandten, stemmten sich nun grau in den Himmel, die Fenster und Türen aufgerissen wie nachtschwarze Mäuler. Henrike wollte an das andere Ende der Stadt, zugleich hatte sie aber den unbestimmten Wunsch, noch einmal ihr Elternhaus zu sehen. Kurzentschlossen lief sie in Richtung Hafen.
    In ihrem vertrauten Heim in der Alfstraße brannte Licht. Saß der neue Besitzer etwa in dem kostbaren Armlehnenstuhl ihres Vaters? Henrike ballte die Fäuste. Am liebsten wäre sie hineingestürmt, hätte ihm klargemacht, dass er dort nichts zu suchen hatte. Stattdessen ging sie um so entschlossener voran. An der Untertrave kam schon die Baustelle am Holstentor in Sicht, da hörte sie Schritte und drängte sich schnell in den Schatten eines Hauses. War es der Nachtwächter? Hatte doch jemand bemerkt, dass sie das Haus verlassen hatte, und folgte ihr nun? Drei Gestalten bogen um die Ecke, ein Mann und zwei Frauen. Eine durchdringende Bierfahne umhüllte das Trio. Sie schwankten, aber nicht nur vor Trunkenheit, sondern auch, weil sie mit anderem beschäftigt waren, als einen Fuß vor den anderen zu setzen. Der Mann fingerte in dem Ausschnitt der einen Frau, während die zweite sich um seinen Hals gehängt hatte und ihn mit Küssen zu bedecken versuchte. Sein Gesicht kam ihr bekannt vor. Bruder Johannes vom Orden der Predigerbrüder! Henrike konnte es nicht fassen. Wie oft hatte sie ihm schon gebeichtet, wie oft hatte er sie für vermeintliche Sünden gerügt   – und was tat er? Vergnügte sich schamlos mit zwei »Schönen Angesichten«, wie die Huren in Lübeck genannt wurden. Was für eine Heuchelei! Sie hätte am liebsten ausgespuckt, doch sie musste sich auf ihr Vorhaben besinnen. Bebend wartete sie, bis die drei vorbeigezogen waren.
    An der Obertrave roch es nach Fisch vom Heringsmarkt, der am Binnenhafen hinter der Stadtmauer abgehalten wurde. Ein warmer Lichtschein fiel aus den Fenstern der Buden zwischen Hafen und Stadtrand auf die Gasse. Flötenspiel, Gesang und Gelächter waren zu hören. An einer Bude lehnte eine Frau in einem tief ausgeschnittenen Kleid, halb über sie gebeugt stand ein Mann in der Tracht der Schiffer. Als die Dirne Henrike entdeckte, schlenderte sie auf sie zu.
    »Gott gröte ju, gode Fründ«, sprach sie Henrike an.
    Die junge Frau beschleunigte ihren Schritt, aber die Dirne trat ihr in den Weg. Sie ließ jetzt die breite Mundart sein, glaubte wohl, es mit einem Fremden zu tun zu haben.
    »Willst wohl die Unschuld verlieren, Kleiner? Bist richtig hier. Brauchst nicht schüchtern zu sein!«, lachte sie und enthüllte schadhafte Zähne.
    Die Dirne packte sie am Kragen und zog sie zu sich. Henrike kam den Brustwarzen, die aus dem Ausschnitt lugten, so nahe, dass sie sich unwillkürlich zurückbog.
    »Gefällt dir nicht, was du siehst?«, fragte die Frau und ließ ihre andere Hand zwischen Henrikes Beine fahren, dorthin, wo die Falten der zu weiten Hose die Leere verbargen.
    Henrikes Gesicht brannte vor Verlegenheit. Sie unterdrückte den Wunsch, davonzulaufen. Wie war sie nur auf diesen Einfall gekommen?
    »Ich wollte in das andere Haus. Ich suche eine bestimmte Frau. Sie heißt«, Henrike stockte, »die schmucke Mette.«
    Die Dirne musterte sie so eingehend, dass Henrike fürchtete, ihre Verkleidung könnte auffliegen.
    »De smucke Mette suchst du? Wir anderen sind dir nicht gut genug, was? Dabei haben auch wir so einiges zu bieten!« Sie schürzte in einer schnellen Bewegung ihren Rock. Henrike schrak zurück, als sie das dunkle Dreieck ihrer Scham erblickte. Die Frau ließ heiser lachend ihren Rocksaum zurückfallen.
    »Kaum der Mutterbrust entwöhnt, aber schon wählerisch? Hast du denn Geld genug für die schmucke Mette? Die lässt es sich nämlich nur von den reichsten Männern der Stadt besorgen. Und so siehst du nun nich grad aus.« Die Finger der Dirne wanderten weiter zu Henrikes Geldbeutel. »Ob das reicht für Mette? Aber vielleicht hat sie ja auch Freude an einem hübschen Knaben wie dir und macht einen Sonderpreis.« Sie strich über Henrikes honigblondes Haar   – eine verräterische Strähne hatte sich gelöst   – und ihre Lippen.
    Hinter der Dirne tauchte nun wieder der Seemann auf und legte
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