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Das Midas-Kartell

Das Midas-Kartell

Titel: Das Midas-Kartell
Autoren: Simon Mockler
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Prolog
    Royal College Boarding School
1987
    Daniel Wiseman wickelte sich enger in die raue Wolldecke, um sich gegen den Wind zu schützen, der an den hölzernen Fensterrahmen rüttelte. Er fror, er war einsam, und er hatte Heimweh. Nichts in den bisherigen zwölf Jahren seines Lebens hatte ahnen lassen, dass es ihm einmal so elend ergehen könnte. Zu Hause in Connecticut hatte er ein warmes Bett mit Spiderman-Decke gehabt. Die Haushälterin hatte Haferkekse für ihn gebacken, die in der Küche zum Abkühlen auf einem Drahtgitter lagen. Er hatte Modellboote gebaut und auf dem See hinter dem Schindelhaus seiner Eltern fahren lassen, und wenn der Wind die Segel blähte, hatten seine Freunde und er ihr Taschengeld darauf verwettet, welches davon am weitesten kommen würde.
    Im Royal College gab es keinen See, keine Kekse und keine Freunde. Hier gab es nur schwammigen Pudding und fettige Pommes; es gab Ballspiele mit idiotischen Regeln, die man im knietiefen Matsch spielte. Im Unterricht langweilte er sich entweder zu Tode, oder er wurde von glatzköpfigen Männern schikaniert, weil er die lateinischen Verben nicht konjugieren konnte und Baseball viel logischer fand als Kricket. Bis in den Abend hinein gab es Hausaufgaben zu erledigen; fernsehen, Cartoons oder Comics zu lesen war verboten. Daniel hasste alles an diesem Internat, und zwar von den Kuppen seiner knubbeligen Finger bis in die Spitzen seiner widerspenstigen blonden Haare. Das Schlimmste aber war, dass sein eigener Vater ihn in diesem abgeschiedenen Teil der Galaxie namens England ausgesetzt hatte.
    Daniel drehte sich auf den Rücken und stützte sich auf die Ellbogen. Er hatte etwas gehört. Ein Rascheln. Vielleicht eine Maus oder eine Ratte. In diesem Dreckloch wäre das jedenfalls nicht überraschend. Zwinkernd gewöhnte er seine Augen an die Dunkelheit. Eine Bodendiele knarrte. Gestalten bewegten sich durch den Schlafsaal, tintenschwarze Schatten ergossen sich über den Boden. Ein hämisches Kichern ertönte, dann schienen alle den Atem anzuhalten. Daniel riss die Augen auf. Da waren Menschen im Raum, die ihn beobachteten. Dunkle Konturen mit bleichen Mondgesichtern. Maskierte Gestalten, die aus dem Finstern auftauchten. Irgendetwas Schreckliches würde gleich geschehen.
    Durch das dicke Sackleinen konnte Daniel nichts sehen, aber hören konnte er – flüsternde Stimmen, unbestimmte Geräusche von allen Seiten. Er schlotterte, die Kälte schnitt durch seinen dünnen Pyjama, aber er zitterte auch vor Angst. Die älteren Jungen hatten ihn aus dem Bett gezerrt, ihn mit einem Paar Sportsocken geknebelt, bis er fast erstickt war, und ihm die Haube über den Kopf gezogen. Es ging über das Kricketfeld und hinter den alten Pavillon. Um das leere Schwimmbecken hatte sich eine Gruppe Schaulustiger versammelt, um sich die Show anzusehen.
    Einer riss ihm den Sack vom Kopf. Drei Gesichter schwebten drohend über ihm, drei ausgebeulte, grinsende Winston-Churchill-Masken.
    Â»Mitbürger, Freunde und Römer, hört mich an«, wandte sich der größte der drei Churchills an das Publikum. »Wir haben den Neuen, und wir haben seinen kostbarsten Besitz. Möge die Zeremonie beginnen.«
    Daniel musste zusehen, wie sein Koffer geöffnet und der Inhalt in den Morast gekippt wurde. Alles, was ihm seine Mutter eingepackt hatte, damit das Heimweh nicht so schlimm wurde. Die Menge johlte.
    Â»Gegenstand Nummer eins«, sagte Churchill und hielt ein Modellboot hoch. Daniels J-Klasse-Jacht, die schnellste in seiner Sammlung.
    Â»Weg damit!«, krakeelte die Menge. Das Boot fiel zu Boden, ein Fuß stampfte auf den Mast, zertrümmerte den Rumpf und stieß die Reste in die im Schwimmbecken verbliebene Wasserpfütze. Die Umstehenden johlten.
    Â»Der nächste!« Ein Superman-Heft wurde hochgehalten, Daniels Lieblingscomic. Es folgte die gleiche hirnlose Prozedur. Das Heft wurde zerfetzt. Die Tränen, die Daniel bislang hatte zurückhalten können, begannen zu quellen.
    Â»Was haben wir denn da?«, verkündete der dritte Churchill und hielt einen ramponierten Teddybär in die Luft. Ein Kichern ging durch die Menge.
    Â»Wie heißt er?«, fragte er.
    Statt zu antworten, überlegte Daniel ernsthaft, ob er sich in den leeren Pool stürzen sollte. Wenn er sich den Kopf aufschlug, würden sie einen Krankenwagen holen, das müssten sie tun, und dann wären sie schuld,
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