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Hannas Entscheidung

Hannas Entscheidung

Titel: Hannas Entscheidung
Autoren: Kerstin Rachfahl
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Auferstehung?«
    »Ja, wir Christen glauben an ein Leben nach dem Tod – aber nicht in dieser Welt.«
    »Ebenfalls ein äußerst interessanter Aspekt. Sie sehen, es gäbe vieles, worüber wir uns unterhalten sollten. Aber ich schlage vor, wir verlegen unser Gespräch an einen Ort, der den Launen des Wetters nicht gar so ausgesetzt ist. Was meinen Sie, Frau Benner?«
    Trotz seiner höflichen Worte wusste Marie instinktiv, dass ihr keine Wahl blieb. Statt zu antworten, warf sie einen letzten Blick auf das Gesicht des Engels und in ihrem Kopf hörte sie die leise Stimme ihres Vaters Gabriel:
    Der Engel des Herrn sei neben dir, dich sanft zu umarmen, dir Schutz zu geben für alle Zeit.
    Jeden Abend hatte er sie mit diesen Worten ins Bett gebracht und sie geküsst. Marie straffte die Schultern, drehte sich um und ging zielstrebig auf den Ausgang zu.

2 Identität
    D er Raum lag im dritten Stock. Die Fenster besaßen Schutzgitter, eingelassen in die Fassade. Hanna hielt sich allein in dem Raum auf und genoss die Stille nach der Anspannung in den letzten Wochen. Nach ihrem Aufenthalt in Norwegen war sie zuerst in verschiedenen deutschen Städten von Wohnung zu Wohnung gezogen. Obwohl sie Reisen und Ortswechsel gewohnt war, verlor sie mit der Zeit die Orientierung darüber, wo sie sich gerade befand. Viel schlimmer war es jedoch gewesen, nie allein zu sein. Das Teilen eines Badezimmers mit den ihr zugewiesenen Personenbeschützern, das ständige Laufen eines Fernsehers oder von Musik, je nachdem, wer Dienst hatte. Der Geruch von fremdem Schweiß, der Anblick von Geschirr, das sich in der Spüle stapelte, und die Allgegenwart von Schusswaffen spannten ihre Nerven zum Zerreißen. Der Tod, der sich überall bemerkbar machte und sie nicht zur Ruhe kommen ließ. Schließlich glaubte sie, es nicht eine Minute länger aushalten zu können und hatte den Vorschlag gemacht, lieber in ein Kloster zu gehen, bis es mit der Verhandlung so weit sei. Natürlich wurde das abgelehnt. Deutsche Bürokratie und Flexibilität waren zwei unvereinbare Begriffe. Also hatte sie auf Erpressung zurückgegriffen und erklärt, dass sie nicht mehr für eine Aussage zur Verfügung stehe, es sei denn, der Personenschutz erklärte sich mit ihrer Lösung einverstanden. Damit löste sie eine Welle hitziger Diskussionen und Rangeleien über die Zuständigkeiten der einzelnen polizeilichen Behörden aus.
    Erst die Einmischung von Oberst Karl Hartmann, der sich für sie einsetzte und seinen Einfluss geltend machte, bereitete dem ein Ende. Noch jetzt ärgerte Hanna sich darüber, denn er war der letzte Mensch auf Erden, dem sie für irgendetwas dankbar sein wollte. Er hatte ihr Major Ben Wahlstrom auf den Hals gehetzt. Er hatte ihre Gefühle zu Ben ausgenutzt, um sie gnadenlos für seine Zwecke zu manipulieren, und sie war darauf reingefallen. Ben – noch immer verursachte der Gedanke an ihn einen tiefen Schmerz in ihrem Herzen. Sie liebte ihn und hatte ihm ihre Liebe gestanden. Worte, die sie gerne zurückgenommen hätte, wenn es die Möglichkeit gäbe, die Zeit zurückzudrehen. Tage, nein Wochen, hatte sie darauf gehofft, etwas von ihm zu hören. Natürlich konnte sie nicht mehr an ihre E-Mail-Nachrichten herankommen. Aber wenigstens einen Brief hätte er schreiben können oder eine kurze Notiz, dass es ihm leidtat, ihre Gefühle verletzt und sie ausgenutzt zu haben oder dass er sich vielleicht sogar in sie verliebt hatte? Stattdessen nichts, absolut nichts. Was für ein Scheißkerl.
    Das Kloster war der erste Ort gewesen, wo sie wieder Struktur in ihren Alltag hatte bringen können. Regeln, Rituale und Ordnung waren ein wichtiger Bestandteil in Hannas Leben. Sie nahm wieder ihre Umgebung wahr, hörte auf, in der Vergangenheit zu leben. Ihre Seele öffnete sich der Stille. Sie nahm die Worte und Gebete in sich auf, fühlte, wie sich alles in ihr miteinander verband: der Kopf, das Herz und die Seele.
    Die Kunstwerke im Kloster weckten ihre Aufmerksamkeit. Fotografieren war immer mehr als nur ein Job für sie gewesen. Hier in der Abgeschlossenheit konnte sie wieder fotografieren. Zuerst die Wandmalereien, Bilder und Statuen. Später fing sie an zu zeichnen. Es war eine Art von Meditation, mit den Augen exakt die Einzelheiten eines Kunstwerks zu betrachten und es Strich für Strich zu Papier zu bringen. Das Geräusch, wenn der Stift über den Skizzenblock glitt, oder das Gefühl, wie ihr Handballen über die Fläche strich, wirkten beruhigend. Sie konnte sich
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