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Hannas Entscheidung

Hannas Entscheidung

Titel: Hannas Entscheidung
Autoren: Kerstin Rachfahl
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entsprach und was nicht. Nur ihre Mutter und ihre Zwillingsschwester selbst hätten ihr sagen können, wie sie sich wirklich fühlten, und beide glaubten – ja, was glaubten sie? Dass sie tot war?
    »Wenn wir nicht aufpassen, werden die Aussagen deiner Mutter dazu beitragen, dass das Strafmaß von Armin Ziegler ein lächerliches Maß annimmt.«
    »Ben ...«, sie holte Luft, »Major Wahlstrom hat mir gesagt, Sie hätten Material, das die Zugehörigkeit meines Stiefvaters zu einer Wirtschaftsorganisation beweist. Angeblich sorgt die mit illegalen Mitteln für Instabilität in Afrika, um sich den Zugriff auf die Rohstoffmärkte zu sichern. Was ist damit?«
    Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare, atmete tief ein und zuckte mit den Achseln. »Das Ganze ist kompliziert. Es wird in dieser Verhandlung nicht zum Tragen kommen.«
    Er verschwieg ihr etwas, das konnte sie deutlich spüren. »Weshalb nicht?«
    Ein scharfer Blick traf sie. Er runzelte die Stirn, musterte sie.
    Dann schüttelte er den Kopf. »Was, Johanna, ist wirklich unten in Afrika passiert?«
    Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Das wissen Sie bereits.«
    »Warum wolltest du dich mit Marie treffen? Was hast du herausgefunden? Es gab zu diesem Zeitpunkt keinerlei Hinweise, dass Lukas Benner in die Sache verwickelt war. Also, was verheimlichst du vor uns?«
    Hanna blieb ruhig. Es war nicht das erste Mal, dass sie ihr diese Frage stellten. Und ihre Antwort blieb konstant dieselbe: »Nichts. Ich habe nichts herausgefunden.«
    »Weshalb dann das Treffen mit Marie?«
    »Weil ich sie heimlich ausspioniert und mich deshalb schlecht gefühlt habe.«
    »Und stattdessen kommt dein Schwager und versucht dich zu töten. Wie lange willst du sie noch beschützen?«
    Für immer, hätte sie ihm am liebsten geantwortet, doch sie schwieg. Was geschehen war, war geschehen. Das konnte niemand mehr rückgängig machen. Seine Andeutung, Marie habe etwas mit Lukas‘ Mordversuch an ihr zu tun, war einfach nur lächerlich. Und das andere? Das andere spielte auch keine Rolle mehr, denn wenn es die Spur eines Heilmittels gegen die HIV-Erkrankung gegeben hätte, so wäre es inzwischen auf dem Tisch. Marie würde sich in diesem Fall verantworten müssen, dass sie Menschen ohne deren Wissen als Versuchskaninchen für ein neues Medikament benutzt hatte – genauer gesagt: Waisenkinder.
    Was hatte ihre Schwester dazu bewogen, diesen Schritt zu gehen? War es wohl so gewesen oder gab es Dinge, die Hanna nicht sah und deshalb nicht verstand? Nein, sie würde Marie nicht ans Messer liefern, nicht, bevor sie mehr über die Hintergründe für ihr Handeln wusste. Sie kannte ihre Schwester besser als jeden anderen Menschen auf der Welt. Es mochte sein, dass Marie ihre Schwächen hatte, so wie jeder Mensch, aber tief in ihrem Inneren gab es einen guten Kern, davon war sie überzeugt. Hanna mochte in Zukunft Sabine Schmidt heißen, aber ihre Verantwortung blieb dieselbe. Es war ihre Aufgabe gewesen, ihre Mutter und ihre Schwester vor allen Gefahren zu beschützen, seit ihr Vater bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Sie hatte versagt. Diese Schuld konnte ihr niemand nehmen.
    »Hättest du mir damals vertraut und den Mut gehabt, das Richtige zu tun, dann wäre all das niemals passiert. Mach diesen Fehler nicht noch einmal.«
    Eine Drohung schwang in seinem Satz mit. Hanna hob den Kopf, schob das Kinn vor und funkelte ihn an. Eine Antwort sparte sie sich. Er hatte recht und sie beide wussten das. Niemand würde so hart mit sich ins Gericht gehen wie sie selbst. Das Bild des kleinen Jungen würde für immer in ihren Kopf eingebrannt sein. Es würde ihre Strafe sein, nie wieder ihren eigenen Namen tragen zu dürfen. Das mit Marie war eine andere Sache, nicht vergleichbar mit dem, was ihr Stiefvater ihr angetan hatte.
    »War das alles?« Sie wollte endlich allein sein.
    Er senkte den Kopf, wich ihrem Blick aus.
    Überrascht sah Hanna ihn an. Der Mann war ihr schon auf viele Arten gegenübergetreten: wütend, streng, sie unter Druck setzend, sanft, beschützend und fürsorglich in der ersten Zeit nach ihrer Begegnung. Doch seine Verlegenheit zu sehen, war neu für sie.
    Er rutschte auf dem Stuhl herum, verschränkte die Hände ineinander. Schließlich hob er den Kopf und suchte ihre Augen.
    Sie sah ihn an, fühlte, dass etwas kam, was sie auf eine weitere Probe stellen würde. Seine Finger lösten sich voneinander. Die rechte Hand wanderte in seine Anzugjacke. Er trug keine Uniform,
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