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Hannas Entscheidung

Hannas Entscheidung

Titel: Hannas Entscheidung
Autoren: Kerstin Rachfahl
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Idee, dass wir die Taufe in Oslo feiern.«
    »In Oslo? Wieso das?« Ben starrte seinen Vater an.
    »Warum nicht?«
    »Weiß Lisa davon?«
    »Nein.«
    »Ich glaube nicht, dass sie damit einverstanden ist.«
    »Och, war ja auch nur so eine Idee von mir. Wann geht dein Flug nach Berlin, Hanna?«
    »Gegen sechs.«
    »Prima, in dem Fall reicht deine Zeit ja noch für einen kleinen Abstecher ins Museum of Modern Art, oder findest du Kunst langweilig?«
    »Nein.«
    »Wie lange brauchst du fürs Packen?«
    »Eine halbe Stunde.«
    »Perfekt. Treffen wir uns in einer Dreiviertelstunde an der Rezeption?«
    Ben sah ein Leuchten in Hannas Gesicht, als sie aufstand, um in ihr Zimmer zu gehen und zu packen.
    Er ärgerte sich, dass sein Vater es ganz beiläufig geschafft hatte, alles über ihren Flug zu erfahren, und noch dazu, dass sie nicht allein in New York herumlief.
    »Ich komme mit.«
    »Nein, das lässt du bleiben.«
    »Sie ist gestern entführt worden. Ich werde sie mit Sicherheit heute nicht allein in New York rumlaufen lassen.«
    »Sie ist nicht allein, sie ist bei mir. Sieh du zu, dass du unsere Flüge umgebucht bekommst, damit sie nicht allein nach Hause fliegt.«
    Ben wollte widersprechen, doch ein scharfer Blick von seinem Vater reichte, und er klappte seinen Mund zu. Abgesehen davon, dass er bei einer Diskussion mit ihm immer den Kürzeren zog, spürte er, dass Hanna Abstand zu ihm brauchte, nur, dass er diesen Abstand nun mal nicht wollte.
    »Ben, weißt du eigentlich, weshalb ich dir damals das Kreuz deiner Mutter geschenkt habe?«
    Er schwieg. Dass sein Vater seinen Entschluss missbilligen konnte, hatte er nicht bedacht, als er Hanna das Kreuz schenkte. Es war ihm richtig vorgekommen.
    »Weil ich jeden Tag Angst davor habe, dass jemand an meiner Haustür steht und mir sagt, dass du für das Vaterland dein Leben gelassen hast. Auf eine verquere Art habe ich immer darauf gehofft, du würdest erkennen, dass deine Mutter nie eine solche Wahl für deinen Lebensweg gewollt hätte. Aber ich lag falsch – es ist dein Weg.«
    Die Hand seines Vaters legte sich auf seine. »Wenn du sie liebst, ich meine wirklich liebst, dann lass sie los. Du wirst ihr das Herz brechen, jedes Mal, wenn du deine Sachen packst und gehst. Halt sie nicht aus purem Egoismus fest, weil sie Licht in dein Leben bringt.«
    Ben sah seinen Vater an. »Ich weiß nicht, ob ich das kann.«
     
    Sie traf als Letzte vor der Kirche ein. Alle standen vor dem Turm.
    Genau das hatte sie vermeiden wollen. Aber natürlich war mal wieder alles schief gegangen. Das Flugzeug hatte Verspätung, der Zoll pickte sie raus und dann war Marie auch noch zu spät dran gewesen. Zuletzt hatte Marie sich noch damit durchgesetzt, dass Hanna als Patentante unmöglich in Jeans auftauchen konnte, und hatte auf einer schwarzen Stoffhose, einem weißen Seidentop mit Spitzenborte und einer langen schwarzen Strickjacke bestanden. Neben Ben und Erik waren Tante Gertrude, die Schwester von Lisas verstorbener Mutter, Toms Eltern und zwei Schwestern samt Anhang – eine mit drei, die andere mit vier Kindern – anwesend. Und natürlich Lisa und Tom mit Nathanael.
    »Tut mir leid«, murmelte Hanna und holte ihre Kamera aus dem Rucksack. Es dauerte nicht lange, und sie glitt in die Rolle der stillen Beobachterin – fokussierte, drückte den Auslöser, wechselte das Objektiv für eine bessere Perspektive.
    Der Pastor erschien, und die Zeremonie begann. Er stellte den Eltern die Frage, weshalb sie ihr Kind taufen lassen wollten, und richteten dieselbe Frage noch einmal an Hanna und Ben. Es folgte der gemeinsame Einzug in die Kirche als Zeichen der Aufnahme des Kindes in die Gemeinde. Hanna fing das Leuchten um Tom und Lisa herum mit der Kamera ein. Ihr tiefes Glück sollte für die Ewigkeit in ihren Bildern sichtbar bleiben, das stille, leise, manchmal wehmütige Lächeln des Großvaters, das selige Lächeln der Großtante mit Tränen der Rührung in ihren Augen, das Strahlen der Großeltern Jung, die sieben Kinder, fünf Mädchen und zwei Jungen, die mit Andacht ihre kleinen Kerzen hielten, die Älteste vielleicht vierzehn, der Jüngste höchstens zwei. Hanna bannte alles in ihrer Kamera, auch Ben, der ihren Rucksack mit reingenommen und auf die Bank gestellt hatte, beide Wahlstrom-Männer, wie sie Blicke wechselten in einem stillen, einvernehmlichen Schwur, das Kind zu beschützen, Ben mit Lisa, und wie er Nathanael auf den Arm nahm. Wie geschickt er sich dabei anstellte. Das scharf
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