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Hannas Entscheidung

Hannas Entscheidung

Titel: Hannas Entscheidung
Autoren: Kerstin Rachfahl
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hatte, strich sie großzügig Salbe darauf und machte einen Stützverband darum.
    Ein Militärfahrzeug brachte sie beide vom Stützpunkt ins Hotel. Hanna sprach kein Wort mit ihm. Als Ben sie zum Fahrstuhl begleitete, verschränkte sie die Arme vor der Brust und starrte ihn an. »Was hast du vor?«
    »Dich auf dein Zimmer bringen.«
    »Vergiss es.«
    Er blieb gelassen. Auf keinen Fall würde er sie allein lassen.
     
    Sie sah seine Entschlossenheit und war zu müde, um weiter mit ihm zu kämpfen. Wenn er meinte, er müsste Babysitter spielen – sein Problem. Sie fühlte sich körperlich und seelisch völlig ausgelaugt. Es hatte sie all ihre Kraft gekostet, nicht selber den Männern im Verhörraum Fragen zu stellen. Fragen, über die sie nicht erfreut wären. Selbstkritik gehörte nicht zu den herausragenden Eigenschaften der Amerikaner. Sie hatte ihre Antworten auf ein Minimum beschränkt. Weder hatte sie sich provozieren, noch einschüchtern lassen.
    Sie erreichten ihr Zimmer. Als sie die Karte einschieben wollte, hielt Ben ihre Hand fest. »Ich nehme an, ich kann dich nicht dazu überreden, in meinem Zimmer zu schlafen?«
    Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Nein.«
    »Dann lass mich wenigstens zuerst in dein Zimmer schauen.«
    Darüber hatte sie nicht nachgedacht. Sie gab ihm die Karte und ließ sich hinter seinen Rücken schieben. Er öffnete die Tür. Erst als er alles geprüft, jeden Schrank aufgemacht, jede Gardine abgetastet und unter das Bett geschaut hatte, war er zufrieden. Fröstelnd hatte sie ihm zugeschaut. In ihren Gedanken sah sie wieder, mit welcher Professionalität er die Männer ausgeschaltet hatte. Sie war nicht der Mensch, der mit Worten umgehen konnte. Ihre Kamera hielt sie im Leben und in der Realität. Doch was würde sie durch den Fokus ihres Objektivs sehen, wenn sie Ben fotografierte? Den Soldaten oder den Mann, den sie liebte?
    »Mein Zimmer ist schräg gegenüber.« Er verstummte, schien noch etwas hinzufügen zu wollen, zog aber dann die Tür hinter sich ins Schloss.
    Hanna atmete auf. Sie ging ins Bad und starrte auf ihr Spiegelbild. Dunkle Schatten lagen unter ihren Augen. Die Militärklamotten bildeten einen grotesken Kontrast zu dem Schmuck ihrer Schwester. Sie betrachtete die Uhr an ihrem Handgelenk, die nach ihrem Bad im Atlantik stehen geblieben war. Stück für Stück zog sie sich aus. Nach einer heißen Dusche fand sie zum Schlafen nur einen Seidenpyjama ihrer Schwester im Koffer. Sie fühlte sich deplatziert und aus ihrer Umgebung gerissen. Das alles hier war nicht ihre Welt, hatte nichts mit ihrem Leben zu tun. Sie holte das Kreuz aus dem Koffer, setzte sich aufs Bett. Lange hielt sie es in ihren Händen, bevor sie es sich um den Hals legte. Sie wusste, diese Nacht würde Albträume für sie bereithalten. Weil das Handy, das Marie ihr gegeben hatte, mit der Jacht in die Luft geflogen war, wusste sie noch nicht einmal, ob ihre Schwester und ihr Patenonkel sich in Sicherheit befanden.

22 Entscheidung
    E s erschien Hanna dekadent, sich Frühstück aufs Zimmer zu bestellen. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als in den Frühstücksraum zu gehen. In den Klamotten ihrer Schwester hatte sie Jeans gefunden, ein schlichtes dunkles T-Shirt, eine dunkelrote Strickjacke und Sneakers. Noch eben rechtzeitig fiel ihr ein, dass man sich in den USA nicht selbst einen Platz im Restaurant suchte. Sie steuerte auf die Kellnerin zu.
    »Hättest du etwas dagegen, wenn wir zusammensitzen?«
    Sie drehte sich zu dem Mann hinter sich um, der sie gut gelaunt anstrahlte. Eine Zeitung klemmte unter seinem Arm. Es fiel ihr schwer, sich dem Charme von Erik Wahlstrom zu entziehen, aber sie erinnerte sich auch daran, dass ihre Bekanntschaft auf einer Lüge basierte.
    »Ich bin nicht Marie Ziegler.«
    Er hob die Augenbrauen hoch, sah jedoch nicht sonderlich überrascht aus.
    »Hanna – Hanna Rosenbaum.« Sie reichte ihm die Hand, die er mit einem Schmunzeln annahm.
    »Die Hanna? Von der das Foto an der Schlafzimmerwand meiner Tochter stammt? Die Hütte an einem norwegischen Fjord aus der Ausstellung ‚Ich bin das Licht der Welt‘?«
    Hanna legte den Kopf schief. Das hatte sie nicht gewusst.
    »Die zur Patentante meines Enkels Nathanael auserkoren ist?«
    »Ja.«
    »In diesem Fall nehme ich meinen Vorschlag und die Bitte zurück.« Er musterte sie ernst und unwillkürlich beschleunigte sich Hannas Herzschlag.
    »Du musst an meinem Tisch sitzen. Immerhin bin ich der Opa.« Erst jetzt ließ er
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