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Hannas Entscheidung

Hannas Entscheidung

Titel: Hannas Entscheidung
Autoren: Kerstin Rachfahl
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geschnittene, männliche Gesicht und das runde, volle mit den staunenden Augen. Sie wusste, dass sie dieses Bild nicht nur in der Kamera, sondern auch in ihrem Herzen tragen würde.
     
    Seit New York hatten sie nur wenig Kontakt miteinander gehabt. Es hatte Hanna nicht sonderlich überrascht, dass Vater und Sohn in ihrer Maschine mitflogen. Auch der Empfang am Flughafen durch Oberst Karl Hartmann war keine echte Überraschung. Zu dem Zeitpunkt wusste sie durch eine Nachricht beim Ausschecken an der Rezeption, dass Marie und ihr Onkel ihre Mission erfüllt hatten.
    Armin Zieglers Tod schob die Firma Medicare ein weiteres Mal in den Mittelpunkt des Presserummels, während im Hintergrund an einer Geschichte über die Entwicklung des Heilmittels gearbeitet wurde. Die Erklärung musste absolut wasserdicht sein, nicht der Hauch eines Skandals durfte darüberliegen. Marie war wie immer virtuos, als sie die Öffentlichkeit davon unterrichtete, dass Medicare die Zulassung für ein Heilmittel gegen HIV beantragt hätte. Niemand konnte mehr das Rad der Zeit zurückdrehen.
    Hanna brauchte zwei Tage, bis sie die Kraft fand, ihrer Mutter gegenüberzutreten. Und sie entschied sich, ihr zu verschweigen, was in den letzten Stunden zwischen ihr und Armin Ziegler vorgefallen war. Es würde nichts ändern, aber ihrer Mutter noch mehr Schmerzen zufügen, als sie ohnehin ertragen musste. Dennoch hatte sich zwischen ihnen eine Kluft aufgetan, und Hanna fand nicht die Kraft, eine Brücke darüber zu bauen.
     
    Ben beobachtete Hanna, die in tiefer Konzentration ein Bild nach dem anderen machte. Obwohl er sich ihrer Nähe überdeutlich bewusst war, ertappte auch er sich dabei, dass er sie vergaß. Darin lag Hannas Gabe, die es ihr ermöglichte, Fotos zu machen, die aus dem Leben gegriffen erschienen, echt und ehrlich und ohne Posen. Es sollte ihr Geschenk an die Eltern werden – ein Album von der Taufe. Sein Vater hatte ihm von ihrer Idee erzählt. Dann kam der Augenblick, als sie Nathanael das Kreuzzeichen auf die Stirn malte, und für einen Moment erschien es ihm, als bliebe die Zeit stehen. Ihre Gestalt tauchte in ein warmes Licht ein. Seine Mutter erschien auf ihrer einen Seite, die ihn lächelnd ansah, und ein schwarzhaariger Mann mit strahlend blauen Augen auf ihrer anderen Seite, der Hanna aufs Haar küsste. Es war ein wenig gespenstisch, und so klar er das Bild vor sich sah, so schnell verschwand es. Ihre Blicke trafen sich, und Hanna schenkte Ben ein warmes Lächeln, während er in ihre blauen Augen abtauchte.
    Sie besaß eine eigene Art im Umgang mit den anwesenden Kindern, hörte ihnen zu, wenn sie ihr etwas erzählten, bewegte sich dabei auf ihrer Ebene, hockte sich auf den Boden und stellte ihnen Fragen. Später zeichnete sie für die Kinder Tiere und zuletzt ein Porträt von Sabrina, der ältesten Nichte von Tom. Jedes der Kinder wollte danach ein Bild von sich haben, einschließlich Lucilla, der Zweijährigen, auch wenn diese kein Wort sprach, aber das brauchte sie bei Hanna auch nicht. Vertrauensvoll setzte sie sich auf ihren Schoß, beobachtete feierlich, wie aus Strichen ein Gesicht entstand. Als das kleine Mädchen den Stift ergriff und selbst anfing zu malen, ließ Hanna es gewähren. Zwischendurch führte sie die winzige Hand. Bei Lucilla tauchte die Zungenspitze zwischen den Lippen auf. Ihre Stirn legte sich in feine Falten.
    »Da«, verkündete sie mit leuchtendem Gesicht, als ihr Bild fertig war.
    Jeder freute sich mit ihr über das geschaffene Kunstwerk.
    Schließlich verabschiedeten sich Toms Schwestern, und eine halbe Stunde später gingen seine Eltern. Hanna verdrückte sich mit Lisa in die Küche, während die Männer unter sich blieben. Ben hörte ihr Lachen und fragte sich, worüber die beiden wohl sprachen.
     
    »Du willst uns schon verlassen?«
    Hanna grinste Erik an. Der Vormittag in der MoMA von New York hatte eine Freundschaft zwischen ihnen entstehen lassen, die mit der Zeit gewachsen war. Die erste E-Mail war von ihm gekommen, und Hanna wusste, es war Onkel Richard, der ihre Adresse herausgerückt hatte. Seitdem schrieben sie sich regelmäßig, und Erik hatte sie auch in Rom besucht. Hanna lebte inzwischen in der Villa ihres Onkels und arbeitete am Institut von Professor Bartoli. Die verlorene Zeit von ihrem Kunststudium hatte sie aufgeholt und lag wieder in ihrem Zeitplan. Noch war sie nicht in die tiefen Geheimnisse des vatikanischen Museums vorgedrungen, doch sie wusste, eines Tages würde sie
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