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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman
Autoren: C.H.Beck
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hätte er sich eine Fahrkarte kaufen und einen der Züge nehmen können, die ihn von der Stadt weggebracht hätten, weg von seinem Schreibtisch, auf dem sich für immer die Berichte stapeln würden. Heutzutage waren die Kriminalfälle, die Sivart zugeteilt wurden, im Vergleich zu früheren Jahren hohl und nichts sagend. Nach dem zwölften November waren die Rook-Brüder untergetaucht, Cleopatra Greenwood war aus der Stadt geflohen, und Enoch Hoffmann hatte mit ruhiger Präzision den größten Zaubertrick aller Zaubertricks angewandt und sich in Luft aufgelöst. Die Stadt glaubte, Sivart immer noch zu brauchen, doch Unwin kannte die Wahrheit: Sivart war nur noch ein Schatten, und er selbst war der Schatten eines Schattens.
    So war es gekommen, dass er, ohne die klare Absicht zurückzukehren, am Bahnsteig vierzehn stand, mit einer Fahrkarte für den nächsten Zug aufs Land, und seine Armbanduhr auf die Zeit der großen Wanduhr mit den vier Zifferblätterneinstellte, die über dem Informationsschalter hing. Sein Verhalten kam ihm selbst verdächtig vor: ein Schreiber, der früh aufstand, einer Augenblickslaune folgte und eine Fahrkarte für einen Zug, der ihn aus der Stadt bringen würde, kaufte. Was für ein Motiv würde jemand von der Agentur hinter einem solchen Verhalten vermuten? Bestimmt hätte man ihn für einen Spion oder Doppelagenten gehalten.
    Vielleicht war seine Beförderung ja gar kein Irrtum, sondern eine Art Probe, auf die man ihn stellte. Wenn dem so war, dann würde er sich über jeden Verdacht erhaben erweisen, indem er an seiner Ansicht festhielt, es handele sich um einen Irrtum und könne sich nur um einen Irrtum handeln. Er würde beweisen, dass er an seinem Job hing und nichts anderes war und sein wollte als ein Schreiber.
    An jenem Morgen hatte er den Zug nicht genommen, um aufs Land zu fahren. Der Anblick der Frau im karierten Mantel hatte ihn davon abgehalten. Sie war ihm ein Rätsel, und dieses Rätsel war groß genug, um ihn von seinem Ausflug aufs Land abzubringen. Solange sie jeden Morgen dort war, würde er mit ihr warten, und solange niemand kam, um sich mit ihr zu treffen, würde er anschließend in die Arbeit zurückkehren: Das war die unausgesprochene Abmachung, die er mit ihr getroffen hatte.
    Dennoch beobachteten ihn die Detektive im Fahrstuhl – aufmerksam, das spürte er. Er tippte rhythmisch mit der Regenschirmspitze auf den Boden, ein paar Takte eines Liedes, das er aus dem Radio kannte, doch vermutlich wirkte das viel zu geplant, da weder das Summen noch das rhythmische Tippen mit der Schirmspitze zu seinen Gewohnheiten gehörten. Deshalb ging er dazu über, den Schirm als Stock zu benutzen und sich ebenso sanft wie wiederholtdarauf zu stützen und ihn dann wieder zu entlasten. Hier handelte es sich um eine Gewohnheit, die durchaus von Unwin hätte stammen können. Doch als Ablenkungsmanöver kam sie sogar ihm selbst äußerst verdächtig vor. Vom
Handbuch für Detektive
hatte er noch kein einziges Wort gelesen, während diese drei Herren es wahrscheinlich in- und auswendig kannten und vermutlich sogar mit den ganzen Feinheiten von Samuels Piths These, Agenten müssten ihre eigenen Geheimnisse haben, vertraut waren.
    Der Fahrstuhlführer brachte den Aufzug beim neunundzwanzigsten Stockwerk zum Halten, und die drei Detektive rauschten an ihm vorbei, drehten sich dann aber noch einmal um. Der im schwarzen Anzug kratzte sich an einem Hautausschlag am Kragenrand und starrte Unwin so böse an, als wäre er verantwortlich für diese körperliche Unannehmlichkeit. Der Mann in Grün duckte sich wie im Kampf und warf ihm hinter halb geschlossenen Lidern einen düsteren, fiesen Blick zu. Der im marineblauen Anzug stand ganz vorn, und sein Schnurrbart lag wie ein dünner, krummer Strich über seiner Oberlippe. «So einen Hut trägt man nicht im sechsunddreißigsten Stock.»
    Die beiden anderen glucksten vergnügt und schüttelten den Kopf.
    Der Alte schloss die Fahrstuhltür vor der Nase des finster dreinblickenden Detektivs, und wieder wanderte die Nadel aufwärts. Von oben erklang das Knirschen des Aufzugsmechanismus, das immer lauter wurde. Als die Tür sich schließlich öffnete, fuhr ein eisiger Windstoß aus den Tiefen des Fahrstuhlschachts empor und strich um Unwins Knöchel. Seine Socken waren noch immer feucht.
    Der Flur war von mehreren gelben Tulpenlampen erhellt, dazwischen waren Türen ohne Oberlicht. Am anderenEnde des Flurs warf ein einzelnes Fenster ein Rechteck aus grauen
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